Sind die Klassenfahrten noch zu retten? | Schaumburger Wochenblatt

Sind die Klassenfahrten noch zu retten?

Klassenfahrten: Gemeinschaft erleben, neues entdecken und ausprobieren.  (Foto: pixabay)
Klassenfahrten: Gemeinschaft erleben, neues entdecken und ausprobieren. (Foto: pixabay)
Klassenfahrten: Gemeinschaft erleben, neues entdecken und ausprobieren. (Foto: pixabay)
Klassenfahrten: Gemeinschaft erleben, neues entdecken und ausprobieren. (Foto: pixabay)
Klassenfahrten: Gemeinschaft erleben, neues entdecken und ausprobieren. (Foto: pixabay)

Seit sechs Monaten stößt ein Erlass des Kultusministeriums zur Regelung von „Schulfahrten“ nicht nur auf deutliche Kritik, sondern sogar auf direkte Ablehnung in den Schulen. Die Folge ist, dass bereits in einigen Grundschulen per Gesamtkonferenzbeschluss keine Klassenfahrten mehr durchgeführt werden. Greift die Haltung weiter um sich, würde das das Ende der beliebten und pädagogisch wertvollen Klassenfahrten bedeuten. Als Begründung werden mehrere Schieflagen in der Regelung benannt, vor allem aber der mit dem neuen Erlass aufgekommene zusätzliche Bürokratismus für die Schulen.

Leitragende wären dann die Schülerinnen und Schüler aller Altersgruppen. Noch haben offenbar nicht alle Schulen den Erlass zur Kenntnis genommen, beziehungsweise befolgt, wie Nachfragen dieser Zeitung ergaben. Auffallend hierbei ist auch, dass es keine Lehrkräfte gab, die bereit waren, ihre Meinung unter ihrem Namen oder dem Namen der Schule veröffentlichen zu lassen.

Der umstrittene Erlass besagt, dass auch Klassenfahrten unter das Vergaberecht fallen, da sie von der Schule für das Land Niedersachsen abgeschlossen werden. Deshalb muss die Schulleitung für jede schulische Veranstaltung dieser Art Ausschreibungen vornehmen und mindestens drei Angebote von Anbietern von Pauschalreisen einholen. Zieht es die Schule vor, diese Fahrten nicht als Paulschalreisen zu organisieren, sondern in Eigenregie, muss sie trotzdem entsprechende Angebote für den Personentransport und die Unterkunft in getrennten und transparenten Vergabeverfahren einholen, um daraus das „wirtschaftlichste“ Angebote auszuwählen. Der pädagogische Hintergrund für den Wert einer Klassenfahrt, der oftmals für die Wahl des Zielortes und der Unterbringung von Bedeutung ist, ist aus dem Erlass hingegen nicht zu entnehmen. Die Lehrkräfte kritisieren außerdem den zusätzlichen Aufwand durch den Erlass, da die Schule einen entgeltlichen Dienstleistungs-Vertrag für die Beförderung und Beherbergung von Schülerinnen und Schülern sowie Lehrkräften schließen und zusätzlich eine Dokumentation des gesamten Vorgangs erstellen müsse, so die wiederkehrende Kritik bei Nachfragen dieser Zeitung. Außerdem sehen sie die Schule der Gefahr ausgesetzt, dass sie im Falle von Konkurrentenklagen regresspflichtig wird.

Weitere Positionen von Lehrkräften gegenüber dem Erlass hören sich so an: „Der Erlass verhindert auch, dass man etwas spontan machen kann.“ Oder: „Wenn man daraufhin keine Fahrt durchführt, dann ist man auch angreifbar, vor allem von Seiten der Eltern.“ „Die Arbeit, die man damit hat, wird gar nicht honoriert. Man ist dann 24 Stunden über drei bis fünf Tage im Einsatz und bekommt lediglich eine Überstunde pro Tag angerechnet. Aber weil es den pädagogischen Mehrwert hat, tut man es für die Kinder trotzdem.“ „Lehrkräfte haben nichts davon, sondern bleiben eher noch auf den Kosten sitzen.“ „Die Lehrkräfte, die Familie haben, müssen für die ganze Zeit der Klassenfahrt sehen, wie sie ihre eigenen Kinder unterbringen und müssen dann noch einen Teil der Kosten selber tragen.“ Eine Schulleiterin berichtet, dass Grundschulleitungen gemeinsam einen Brief an das Kultusministerium geschrieben haben, um diese Fragen und Diskussionen um den Erlass mitzuteilen. Aber man habe immer noch keine Antwort aus dem Ministerium erhalten.

Das Kultusministerium Beruft sich beim Erlass auf das geltende Recht der Europäischen Union (EU), dass vorschreibt, dass derartige Leistungen ausgeschrieben werden müssen. Bei einer Schulveranstaltung, für die die Schule den Auftrag erteilt, fallen diese Fahrten daher unter das EU-Recht, so die Auskunft des Kultusministeriums.

Jan-Philipp Beck (MdL/SPD) dazu befragt, sagte: „Das Problem ist mir so nicht bekannt. Im Rahmen meiner regelmäßigen Besuche der hiesigen Schulen und dem entsprechenden Austausch mit den Schulleitungen als auch Lehrkräften ist bisher noch nicht an mich herangetragen worden, dass es in der praktischen Umsetzung etwaige Schwierigkeiten oder Probleme gibt.“ Er fügt an: „Selbstverständlich sollte die Organisation von Klassen- und Schulfahrten für die damit betrauten Lehrerinnen und Lehrer grundsätzlich praktikabel sein und sich damit auch nicht allzu bürokratisch gestalten.“

Colette Thiemann (MdL/CDU) reagiert scharf: „Wir haben festgestellt, dass das Kultusministerium so etwas wie eine Wundertüte ist. Man wundert sich über die Dinge, die von dort kommen.“ Mit dem Erlass führe man jede „Intention der Klassenfahrt ad absurdum und macht daraus eine Urlaubsveranstaltung“. Alles werde nur unter der kommerziellen Brille gesehen. „Wir müssen grundsätzlich aufpassen und danach fragen, was wir in der Schule wollen. Ich finde das Maß, dass das billigste Angebot für unsere Schülerinnen und Schüler gelten soll, als unangebracht. Und wenn wir anfangen, bei solchen Dingen, die wirklich eklatant wichtig sind, nur auf das Billigste zu achten, liegen wir falsch. Die Klassenfahrt ist das Ereignis der Schulzeit. Die Gemeinschaft der Klassen wächst hierbei zusammen. Es wundert mich nicht, dass sich bei diesem Erlass Lehrkräfte überlegen, ob sie derartige Fahrten überhaupt durchführen.“

Schwer enttäuscht äußert eine Schulleiterin die Vermutung: „Letztlich habe man das Gefühl, dass das Ministerium diese Entscheidung getroffen hat, um die Klassenfahrten zusätzlich zu erschweren, damit man weniger fährt. Denn sonst müsste das Ministerium auch an die Bezahlung heran und sie reformieren.“ Dabei wollen es Colette Thiemann und der bildungspolitische Sprecher der CDU-Landtagsfraktion, Christian Fühner, nicht belassen. Sie reichen eine Anfrage zum Erlass an die Landesregierung ein, die der Redaktion vorliegt. In ihr hinterfragen sie in 13 Punkten die Auswirkungen des Erlasses. Mit einer Antwort ist etwa in drei Wochen zu rechnen.


Von Gburek, Winfried
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