Es ist Sonntag. Die Sonne scheint, es sind so um die 30°C. Im Schatten natürlich. Es ist Viertel vor Zwei und ich könnte mal auf die Terrasse gehen und in meinen kleinen, halbwilden Garten schauen, den ich so liebe. Ich öffne die Terrassentür und trete nach draußen. Wie gebannt bleibe ich stehen und traue meinen Augen nicht. Doch es ist Realität: Da stehen laut muhend 14 Rinder, darunter ein gehörnter Bulle und einige halbwüchsige Kälber, auf meiner Wiese. Einige saufen ausgiebig Wasser aus meinem Zierteich. Ein anderes Rind steht bereits mit den Vorderbeinen darin und macht Anstalten, ganz hineinzugehen. Ich weiß sofort, wem diese Tiere gehören: Einem Landwirt aus der Nachbarschaft und sie stehen normalerweise auf einer Weide schräg unterhalb meines Grundstückes. Seine Telefonnummer hängt an meiner Pinnwand und eilig schildere ich ihm die Situation. EIn wenig Panik ergreift mich, als ich daran denke, was die Rinder in meinem kleinen Paradies für Schäden anrichten können. Wild gestikulierend und schreiend renne ich auf die Tiere zu, um sie von meinem Teich wegzujagen. Angst? Nein, Angst habe ich nicht. Rinder sind ja eigentlich gutmütige Tiere. Mein Geschrei hat Erfolg. Drei Kühe wenden sich vom Teich ab. Das Rind mit den Vorderbeinen im Teich bleibt stehen. „Mach mir meine Teichfolie nicht kaputt”, schreie ich und greife zu einer langen Holzlatte. Ich stoße das Rind wiederholt mit der Latte vor die Brust. Langsam, unendlich langsam dreht es sich um, springt aus dem Teich und mit einem Satz über meine Elektroinstallationsanlage, mit der ich die Pumpen für den Teich bediene. Die Anlage bleibt erhalten. Nur eine darauf stehende Buddhafigur fällt herunter und zerbricht. Ich kann die Rinder zusammentreiben, bloß weg vom Teich. Dann höre ich auch schon von jenseits meiner Naturhecke, welche die Grundstücke trennt, die Stimme des Eigentümers der Herde. Als die Rinder die Stimme ihres Herrn erkennen, brechen sie im wilden Galopp durch meine Hecke. Dass sie dabei meine Wildbienenblumen zertrampeln und eine LED-Lampe zerstören, merken sie nicht. Dann ist der Spuk vorbei und Ruhe kehrt zurück. Ich überfliege mit meinen Augen meine vermeintliche Idylle. Die Teichfolie scheint unbeschädigt zu sein. Genau werde ich das erst später feststellen können. Einige Pflanzen sind zerzaust; viele tiefe Löcher im Rasen, verursacht durch die Hufe der schweren Tiere, werde ich stopfen müssen. Und das große Loch in der Hecke muss ich zumachen. Unübersehbar jedoch sind die vielen tierischen Exkremente auf meiner Wiese. Da muss ich wohl mit dem Wasserschlauch ran. Ich muss jetzt erst einmal tief Luft holen, setze mich erschöpft auf einen Stuhl in meiner Lieblingsecke und lasse das Geschehen vor meinem geistigen Auge Revue passieren. Finanzieller Schaden? Nicht der Rede wert. Ein bisschen Arbeit, mehr nicht. Was hätten die großen Leiber alles anrichten können, ohne es zu wollen? Aber alles ist heil geblieben. Glück gehabt! Und was hat die Tiere wohl getrieben, durch die Hecke zu brechen? Ich denke, sie haben das Wasser gerochen und müssen mächtig Durst gehabt haben. Und dann muss ich lächeln: Da wagt es doch, während ich meinen Gedanken nachhänge, eine kleine Maus, über meine Füße zu flitzen, bevor sie im Gebüsch verschwindet. Erst die Riesen, dann dieser Winzling. Eins ist jedoch geblieben: Jedes Mal, wenn ich jetzt die Rinder laut muhend höre, springe ich auf und schaue in meinen Garten. Diese unruhigen Gedanken werde ich wohl so bald nicht los. Foto: privat