Mutterseelenallein in zwei Metern Höhe über ein Seil balancieren, nur mit einem Halteseil als Hilfsmittel. Und alle schauen zu. Was einfach aussieht, erfordert Mut und ausgeprägten Gleichgewichtssinn. Diese und ähnliche Fähigkeiten entwickelten und stärkten 18 Erzieherinnen am Dienstag in der Turnhalle in Hespe. Anlass für die außergewöhnliche Turnstunde war der dritte Termin einer Schulung im Rahmen des Projektes die „mobile Bewegungsbaustelle”. Hervorgegangen aus dem Modellprojekt „Kinder in Bewegung” nach Klaus Miedzinski und dem Sportwissenschaftler Peter Hegedorn, schult die Bewegungsbaustelle seit zehn Jahren Lehrer und Erzieher darin, Kindern wichtige und altersgerechte Bewegungsabläufe näherzubringen. Die Schulungsteilnehmer klettern über große Karussellplatten, springen über hohe Kisten und balancieren über hölzerne Trapeze. Dabei erfahren sie Grundlegendes über Grenzen und Möglichkeiten der Statik, lernen, wie sie ihre Kräfte dosieren und erleben die Fliehkraft. Die gesammelten Erfahrungen geben sie in Kindertagesstätten und Schulen an die betreuten Kinder weiter. Gemeinsam mit den Kleinkindern und Schülern bauen sie in den Einrichtungen Parcours und Gerätegruppen auf, an den die Zöglinge nach Herzenslust spielen und toben dürfen. Eines der Kernziele ist, dass die Kinder selbst neue Ideen entwickeln und ihre Hindernisse je nach Entwicklungsstand selbst zusammenstellen. „Wir müssen die Kinder da abholen, wo sie sind”, erklärt Ursula Büthe, Initiatorin des Projektes, den Hintergrund der Psychomotorik. „Mithilfe unserer Bewegungsbaustelle sollen sie das Zusammenwirken von Körper, Geist und Seele begreifen und erfahren.” Die Kinder sollen im selbstbestimmten Handeln unterstützt werden und einen verantwortlichen Umgang mit Risiken erlernen. Und nicht nur das: Viele Übungen sind so aufgebaut, dass sich gleich mehrere Personen an ihnen beteiligen müssen, um zu funktionieren. „Dabei muss ich mich voll auf mein Gegenüber verlassen können, beispielsweise dass er das Seil, auf dem ich gerade balanciere, gut festhält, so dass ich mich nicht verletzen kann”, erklärt Schulungsteilnehmerin Marlies Brüske. Sie ist vom Konzept bereits jetzt überzeugt: „Dieses Vertrauen, das wir da zu unseren Mitmenschen aufbauen, schafft automatisch Geborgenheit. Gerade das kennen viele Kinder heutzutage gar nicht mehr. Viele von ihnen verlassen sich heute doch nur noch auf sich selbst.” Doch nicht nur das augenscheinlich verlorengegangene Vertrauen in ihre Umwelt ist, den Organisatoren des Projektes nach, ein unerlässlicher Grund psychomotorische Fähigkeiten von Kindern aktiv zu stärken. Durch die veränderte Natur, beispielsweise betonierte Bachläufe und weniger Blumenwiesen, gingen vielen Kindern „notwendige Körpererfahrungen verloren”. Kindergärten und Schulen, die nicht über eigene Turngeräte verfügen, können die „mobile Bewegungsbaustelle”, ein mit Spiel- und Turngegenständen bestückter Autoanhänger plus fachkundiges Projektmitglied, gegen eine Leihgebühr buchen und in ihrer Einrichtung einsetzen. Das Konzept zahlt sich aus: Insgesamt hat die „mobile Bewegungsbaustelle” bereits an die 100 Erzieher und Lehrer zu sogenannten Moderatoren im gesamten Landkreis ausgebildet.Foto: jo