Reimann kam nicht allein zurück in den Flecken. Etliche Tippelbrüder begleiteten ihn auf den letzten Kilometern. Zuletzt nahmen sie ihn sogar in die Mitte und drehten auf der Straße eine „Ehrenrunde”.
Hier am nördlichen Ortsausgang des Fleckens hatte am 24. August 2010 das große Abenteuer begonnen. Auch damals kletterte er über das Ortsschild, durfte danach keinen Blick mehr zurück auf seine Heimat werfen – und sich ihr in der vor ihm liegenden Mindestzeit von drei Jahren und einem Tag nicht mehr als 60 Kilometern nähern.
Mit der Walz wird die Wanderschaft eines Handwerksgesellen nach Abschluss seiner Gesellenprüfung und Freisprechung durch den Meister bezeichnet. Schon seit dem 12. Jahrhundert ziehen junge Handwerker in andere Regionen, um Länder, Kulturen und neue Fertigkeiten in ihrem Fach kennenzulernen. Im Mittelalter war die Walz Voraussetzung für den späteren Meisterbrief.
Reisende Gesellen sind an ihrer Kluft zu erkennen. Wichtigster Begleiter ist der „Charlottenburger”, ein circa 88 mal 88 Zentimeter großes Tuch, in dem Wechselwäsche, Zahnbürste und Werkzeug Platz finden. Auf dem meist zu einer langen Rolle geknoteten und mit Wappen bedruckten Stoff kommt obenauf der Schlafsack. Als weitere Utensilien gelten der als „Stenz” bezeichnete gewundene Wanderstab und das Wanderbuch, in dem alle Arbeitseinsätze eingetragen werden und das gewissermaßen als Reisetagebuch gilt.
Reimann hatte sich dem bereits 1891 in Bremen gegründeten Rolandschacht angeschlossen und trug dessen „Ehrbarkeit”, einen Schlips als Ausdruck der Rechtschaffenheit. Ein neuzeitliches Handy ist übrigens absolut verpönt: Der Apparat des Lauenauers hängt immer noch am Balken bei seinem früheren Lehrherrn Michael Pinkernell in Haste. Der Meister ließ es sich natürlich nicht nehmen, seinen früheren Mitarbeiter bei der Ankunft zu begrüßen: „Der hatte schon immer Hummeln im Hintern.” Für ihn sind Zimmerleute mit Wandererfahrung von höchster Qualität, weil sie eben auch berufliches Wissen gesammelt haben: „Die finden immer einen Arbeitsplatz.”
Björn Reimann kann sein Können nicht nur mit Holzbautechniken aus Süddeutschland vorweisen: Während seiner Tour war er zeitweilig in Betrieben Spaniens, Österreichs, Italiens und der Schweiz beschäftigt. Alle Strecken legte er zu Fuß oder per Anhalter zurück. Öffentliche Verkehrsmittel dürfen nur in Ausnahmefällen benutzt werden.
Dass es am Ende fast vier Jahre geworden sind, dokumentiert Reimanns Begeisterung: „Ich würde es wieder machen.” Gleichwohl räumt er ein, nicht nur Schönwetter-Tage erlebt zu haben: Bei Minusgraden, stundenlangen Regenfällen oder dem nächtlichen Schlaf unter einer Brücke hätte er sich doch schon mitunter „das Sofa zu Hause” ersehnt. Doch schon beim nächsten „Bier mit einem Reisekameraden” sei „meistens alles wieder gut” gewesen. Prompt macht sich der Lauenauer in diesen Tagen wieder auf den Weg, um einen Rolandsbruder zu Fuß nach dessen Heimat Nürnberg zu begleiten. Doch das geschieht aus lauter Freude und zumindest für ihn ohne das bekannte strenge Ritual der Wanderburschen. Mit denen hat er gleich nach seiner Rückkehr tüchtig gefeiert – und etwas von seinen nächsten Plänen verraten. 2015 will er zur Meisterschule gehen. „Der hat das Zeug dazu”, sagt sein Ex-Chef Pinkernell. Foto: al