Das ehemalige Katastrophengebiet ist nur mühsam zu erreichen: Per Flugzeug und zuletzt nur mit dem Hubschrauber geht es in die fast menschenleere Gegend. Nur Iwenken leben dort, Ureinwohner, die Rentiere züchten. Doch die Blicke der Industriestaaten sind auf die sibirischen Weiten gerichtet: Riesige Bodenschätze könnten hier ausgebeutet werden.
Brenneisen selbst ist das Tunguska-Gebiet nicht ganz geheuer. Beim jüngsten Besuch hatte er mit Giftschlangen Kontakt. An einem Berg ließen sich Kompass und sogar modernste GPS-Geräte nicht einsetzen: Hier gab es starke Magnetströme. Jetzt war er schon zum zweiten Mal dort: Das Tunguska-Rätsel lässt ihm keine Ruhe.
So viel ist bekannt: Am 30. Juni 1908 erreignete sich eine Explosion von der Stärke von 200 Hiroshima-Bomben. Dabei wurden über 60 Millionen Bäume entwurzelt oder so zerstört, dass nur noch die Stämme in den Himmel ragten. Wahrscheinlich sind rund hundert Iwenken ums Leben gekommen; ganze Rentierherden sollen spurlos verschwunden sein.
Der Explosionsknall sorgte noch in tausend Kilometer Entfernung für einen Nothalt der Transsibirischen Eisenbahn: Der Lokführer hatte geglaubt, der Kessel der Maschine sei geplatzt. Schon Tage zuvor hatte es merkwürdige Meldungen in europäischen Zeitungen gegeben: So hieß es in einer Berliner Ausgabe vom 23. Juni 1908, es werde nachts nicht dunkel, und am Horizont zeige sich violettes Licht.
Brenneisen beschäftigt sich seit über 20 Jahren mit den damaligen Ereignissen. Seine Neugier wurde beim Besuch eines Berliner Museums geweckt.
Lange glaubten die Menschen, ein riesiger Komet oder ein Meteorit sei dort auf die Erde geprallt. Bereits 1921 dokumentierte ein lettischer Forscher seine Beobachtungen in einem auch in deutscher Sprache übersetzten Buch. Später machten sich immer wieder internationale Experten auf den Weg. In Deutschland gab es zuletzt zwei Wissenschaftler, die sich mit dem Thema auseinandersetzten - und eben der Lauenauer, der im Jahr 2000 zum ersten Mal an einer Expedition teilnahm und nun ein „3sat”-Kamerateam nach Sibirien begleitete.
Der 45-minütige Filmbeitrag wird am kommenden Freitag, 27. Juni, um 20.15 Uhr ausgestrahlt.
Allerdings werden die Zuschauer auch dann nicht erfahren können, welche Ursache zur Katastrophe führte.
„Das wird wohl immer ein Rätsel sein”, glaubt Brenneisen und empfindet darüber durchaus „eine innere Freude”. Anfangs habe auch er an die Kometen-Theorie geglaubt. Denn diese Stücke aus dem All bestehen aus Eis, das unweigerlich schmilzt und deshalb keine weiteren Spuren hinterlässt. Aber inzwischen deutet er die Ereignisse als Folge einer Methangasexplosion: Der Stoff könnte in diesem erdbebengefährdeten Gebiet ausgetreten und sich in riesigen Mengen hoch in der Luft entzündet haben. Das würde unter anderem die Lichterscheinungen erklären und die kahlen Stämme der Bäume: „Eine Druckwelle könnte die Äste abgerissen haben.”
Trotzdem will der Diplom-Geograph andere Ursachen nicht ausschließen. Bei der Entnahme von Bodenproben hat er einen merkwürdigen Gesteinsbrocken in 45 Zentimeter Tiefe geborgen, dessen Zusammensetzung ihm Rätsel aufgibt. Momentan lässt er den Fund von Experten weiter untersuchen: „Dann”, schlussfolgert Brenneisen, „könnte die Meteoriten-Theorie neue Bedeutung erlangen”.
Andererseits hadert er über die gelegentlichen Sensationsmeldungen, die immer wieder einmal durch die Medien geistern.
Von einer Ufo-Landung hält er ebenso wenig wie neuerliche Annahmen eines Vulkanausbruchs, der mittels eines U-Boots in einem See der Region ermittelt worden sei. Kopfschüttelnd hat er sogar einen Eintrag im Schulatlas seiner Tochter zur Kenntnis nehmen müssen: „Meteorkrater” steht zwar an der richtigen Stelle in Asien.
Aber es gebe dort keinen Krater, ärgert er sich, „und wenn, dann kann es nur ein Meteorit gewesen sein”, fordert er mehr Sorgfalt von den Autoren.
Den Fernsehfilm am kommenden Freitag wird der Forscher übrigens nicht unmittelbar verfolgen können.
Er reist in diesen Tagen zu einem Kongress nach Moskau. Dort steht einmal mehr die Tunguska-Ebene im Mittelpunkt der Diskussionen. Brenneisen geht davon aus, dass die Beratungen in englischer Sprache zu führen sind:
„Ich kann doch kein Wort Russisch.” Foto: al