eihnachten ist das Fest der Familie, so sagt man. Weihnachten betrifft aber auch die berufstätigen Menschen, die tagein tagaus ihrer Arbeit im Kreise der Arbeitskollegen nachgehen. Über fünfzig Jahre ist es her, dass die Region Schaumburg ein geschäftiger Ort der Kohleförderung war. Noch heute legen davon etliche Gebäude(ruinen) und Museen Zeugnis ab. Als der Abbau des schwarzen Goldes 1960 eingestellt wurde, waren noch weitaus mehr als 2000 Menschen über und unter Tage im Bergbau beschäftigt.
Gunter Ludewig, Leiter des Bergbau-Museums in Lindhorst und in den fünfziger Jahren des vorigen Jahrhunderts junger, unter Tage beschäftigter Bergmann, erinnert sich: „Natürlich gestalteten wir damals unsere eigene Weihnachtsfeier im Kreis der Kollegen unter Tage im Schacht,” sagt er. Da werden bei ihm Erinnerungen wach, da gehen ihm Gedanken durch den Kopf. Wie war das damals eigentlich, will der neugierige Fragesteller wissen?
Die Weihnachtsfeier unter Tage war fast immer eine spontane Aktion. Sie fand Heiligabend am Ende der letzten Schicht statt. „Aber unsere Arbeit musste vorher gemacht worden sein,” berichtet Ludwig, „sonst war das nicht möglich.” Die Kumpel bastelten sich einen Weihnachtsbaum aus halbierten Schälhölzern, die normalerweise für Stützmaßnahmen vor Ort verwendet wurden. Die Hölzer wurden mit Schießdraht zusammengebunden. Den „Weihnachtsbaum” schmückten kleine Tannenzweige, Sie waren von den Männern beim Einfahren mit hinab an den Arbeitsplatz gebacht worden waren. Grubenlampen dienten als Kerzen und wenn eine der Lampen zu hell leuchtete, wurde ihr Licht mit einem Helm etwas abgedeckt.
Im Schacht kehrte Ruhe ein. Die meist aus 10 bis 15 Männern bestehende Arbeitsgruppe, den Steiger eingeschlossen, hockte sich um ihren Weihnachtsbaum, so mancher hing seinen Gedanken nach. Eine besinnliche, nachdenkliche Stimmung breitete sich aus. Dort, so erinnert sich Ludewig, war man manchmal dem Schutzpatron sehr nahe. Die Männer erzählten von herabstürzenden Gesteinsbrocken, die sie glücklicherweise verfehlt hatten. Sie sprachen von Unfällen, die sie erlitten oder von Geschehnissen, von denen sie Blessuren zurückbehalten hatten. Aus rauen Männerkehlen erklang Hunderte von Metern tief unter der Erdoberfläche ein zaghaftes „Oh Tannenbaum”, „Ihr Kinderlein kommet” schloss sich an. Natürlich durfte „Stille Nacht, heilige Nacht” nicht fehlen, weiß Ludewig.
Was wäre eine Weihnachtsfeier ohne ein deftiges Tscherperfrühstück für die Kumpel? Damals war es üblich, das sich die Bergleute zu Hause ihr eigenes Schwein mästeten, das im Herbst geschlachtet wurde. „Dann brachten diese Kumpel Wurst und Schinken für unsere Weihnachtsfeier mit, andere sorgten für Brot, und natürlich durfte auch eine Pulle Schluck nicht fehlen,” erzählt Ludewig. Der Schnaps wurde in eine Limonadenflasche gefüllt und die kreiste dann unter den Bergleuten. Gläser? Wofür? Für die jungen Kerle wie Ludewig blieb meist nur die Limonade.
Nach gut einer Stunde machten sich die Männer auf den Heimweg. Zu Hause wurde der Baum geschmückt, das Essen für die Familie vorbereitet. „In vielen Familien gab es Heiligabend Kartoffelsalat mit schlesischer Weißwurst,” entsinnt sich Ludewig. Er schätzt, dass etwa zwei Drittel der Bergleute, die damals in Schaumburg in den Gruben arbeiteten, aus Schlesien stammten.
Eine Weihnachtsfeier unter Tage im Kreis der Kollegen war sicherlich etwas Besonderes, ein Moment der Besinnung, der half, das Gefühl von Zusammengehörigkeit zu fördern. Die Nähe zueinander ließ deutlich werden, man war füreinander da. „In jedem Falle war es einfach schön,” blickt Gunter Ludewig zurück. Der von ihm rekonstruierte Weihnachtbaum der Kumpel hat jetzt einen Platz im Museum. Foto: bt
Der Weihnachtsbaum der Kumpel unter Tage: verziert mit Tannengrün,
Grubenlampen und Würsten.
Die Werkszeitung des Grubenbetreibers Preussag stimmt die Bergleute alljährlich auf Advent und Weihnachten ein.
Eine sehr seltene Aufnahme aus der Weihnachtszeit im Schaumburger Bergbau. Der geschmückte Tannenbaum stand 1959 auf der Schachtanlage Lüdersfeld.