RODENBERG (jl). Allein steht er auf dem Podest. Unter extremer körperlicher Anstrengung versucht er sich zu bücken, um seinen Krückstock aufzuheben. Er droht sich zu verrenken, ächzt und stöhnt, schneidet Grimassen, schiebt die Beine noch etwas weiter auseinander und probiert es erneut, bis er mit Schweißperlen auf der Stirn endlich sein Objekt der Begierde zu greifen bekommt. Später wird er singend um den Stock herumtänzeln. Er ist eben der „Komische Alte”, der vor Gericht alle Register zieht, um sich herauszureden und sein Leben Revue passieren lässt – in einem 80-minütigen szenischen Monolog, grandios gesprochen und gespielt von Christian Schäfer. Ja, mit diesem Genre hat die „Kulturkirche in St. Jacobi” Neuland betreten, um die Diversität an Möglichkeiten aufzuzeigen. „Wir haben uns auf die Fahnen geschrieben Lesungen und Konzerte zu veranstalten, aber auch das darstellende Spiel nicht zu vernachlässigen”, erklärt eingangs Pastor Ralf Janßen als Mitinitiator den rund 50 Besuchern. Und die werden nicht enttäuscht von dem Ein-Mann-Theater. Allein wie Schäfer, übrigens ein gebürtiger Schaumburger, mit herausgestreckter spitzer Zunge die erhöhte Bühne erzwingt, gleicht einem Augenschmaus. Das, was er in dem Monolog des polnischen Dichters Tadeusz Rózewicz (1921-2014) zu sagen hat, klingt absurd: „Hohes Gericht, eigentlich müsste ich die Kinder verklagen”, verteidigt sich der Alte vor der stummen Richterin. Zumal es noch keine Kinder gegeben habe, als er in seine vier Wände zog. Die Gören hätten ihn gepackt und festgehalten und sich erst mit Schokolade zähmen lassen. Er kommt von einem zum nächsten, von seiner Zerstörungswut gegenüber einer „Nackedei”-Puppe („Ohne Zweifel, es macht einfach Spaß zu sammeln”) zum Wodka-Trinkgelage mit seinem mittlerweile verstorbenen Bruder. Im Grunde aber sei sein Leben – Gott habe ihn vor dem weiblichen Geschlecht bewahrt – so leer wie ein „Röllchen ohne Sahne”, schweift der ältere Herr ab und schildert detailverliebt, wie er sich an der Süßspeise in jüngeren Jahren überfressen hat und letztlich darauf ausgerutscht ist. Tief saß auch der Schock, als er begriff, dass er wohl kein zweiter Napoleon würde. Den Spiegel macht er als „höllische Erfindung” aus, verwandele er ihn doch physisch in einen Lappen. Und trotz wachsender Bevölkerungsdichte muss er feststellen, dass es nicht so einfach ist Gesellschaft zu finden. Selbst sein Kanarienvogel starb nach einer Woche Trübsalblasen. Eine seiner Lieblingsbeschäftigungen im Rentenalter: hinter der Gardine sitzen oder im Museum Kulturgüter bewachen. Aber selbst dort wird er von Arglist und Bosheit heimgesucht. All das unterbreitet er dem Gericht, dem er sich als „allseitiger Mensch” präsentieren möchte. Herauszuhören, was wahr und was womöglich seiner Fantasie entsprungen ist, obliegt allein dem Publikum. Foto: jl