Drei Menschen, drei Geschichten, eine Vergangenheit. An ihren ganz persönlichen Nachkriegserfahrungen ließen Dorothea Seggebruch, Günter Drieschner und Werner Sensmeyer die Besucher der Stadtbücherei teilhaben. Im Rahmen der Ausstellung „Nachkriegszeit in Stadthagen” hat Oliver Glißmann den Erinnerungsabend konzipiert. Rund 40 Besucher füllten den Lesesaal in der Stadtbücherei. Als Dorothea Seggebruch begann, aus ihren Lebenserinnerungen zu lesen, wurde es still: Mit gerade Mal fünf Jahren floh sich mit ihrer Mutter und der Schwester. Heimlich, mit der Hilfe des Chefs, ohne Vater liefen sie davon. Mit dem Zug, in Transportwaggons ging es in Richtung Dorsten. Gegen den Hunger gab es eine Handvoll Zucker, gegen den Durst eine Handvoll Schnee. In Dorsten fand die kleine Familie keine Ruhe, immer wieder mussten sie in die Bunker laufen. 2000 Menschen zitterten vor Angst unter der Erde. Die Luft wird knapp. Eine Kerze am Boden erlischt. Als die Flieger weg sind und die Türen offen, drängen die Menschen nach draußen. Atmen. Die Brühe hilft, wieder zu Kräften zu kommen. Solange, bis Dorothea erfährt, woraus sie gekocht ist: Ein zerbombtes Pferd. Ihre kleinen Füße müssen sich nach kurzer Zeit wieder auf den Weg machen. Nachts zieht Dorothea Seggebruch mit Mutter und Schwester über den Teutoburger Wald in Richtung Stadthagen. In einer Sammelstelle meldete sich die kleine Familie, wird auf einen Bauernhof in Kuckshagen verwiesen. Ein Zimmer mit Feldbett wartete auf die Mutter und die Schwestern. „Dort sah ich das erste Mal Frauen in der Bückeburger Tracht. Sie sahen aus wie Königinnen”, erinnerte sich Dorothea Seggebruch. Ganz und gar nicht königlich kam es Günter Drieschner vor, als er nach langer Flucht in Stadthagen ankam. In Hannover bekam die Familie Drieschner die Anweisung, nach Stadthagen zu gehen. Günter Drieschner wusste, dass die Stadt Hagen eine Großstadt war. Er riet seiner Mutter, sich dort niederzulassen. Eine Großstadt mit all ihren Vorzügen wie Straßenbahnen, Geschäften und vieles mehr kannten sie aus Breslau. Erst bei Ankunft in der kleinen Kreisstadt wurde der Familie bewusst, dass sie auf dem Dorf gelandet war. Das Sammellager in der heutigen Schule am Schlosspark war primitiv, Nahrungsmittel knapp. Dieschner berichtete vom „Hamstern” in den Dörfern. Die Flüchtlinge mussten betteln, um nicht zu verhungern. Walter Sensmeyer hingegen kam aus dem Krieg zurück, seine Heimatstadt Bad Oeynhausen besetzt. Er ging nach Stadthagen, mit der Aufgabe die Flüchtlinge zu koordinieren. Doch womit und wohin? Diese Fragen raubten Sensmeyer den Schlaf. 5000 entkräftete Menschen, an Leib und Seele geschunden, musste er als Angestellter der Stadt aufnehmen und versorgen. Auch Sensmeyer selbst hat heute, mit 91 Jahren, die Bilder im Kopf: Wenn er und seine Kollegen auf den Bosse Werksgleisen die Waggons öffneten. Sensmeyer ließ sich lesend durch Herrn Klugmann vertreten. An Eindrücklichkeit haben seine Schilderungen dadurch nicht verloren. Eindrücklich schafften die drei Zeitzeugen durch ihre schriftlichen Erinnerungen, ein Stück Geschichte nachvollziehbar zu halten. Jeder von ihnen ist ein Mosaikstück zu einem umfassenden Bild alltäglicher Lokalgeschichte. Foto: ih
Günter Drieschner (v.li.), Dorothea Seggebruch und Herr Klugmann lesen aus den Erinnerungen in der Stadtbücherei.