Käßmann blieb dabei „Wir brauchen mehr Phantasie für den Frieden”, betonte die Bischöfin ein weiteres Mal. Eine Mahnung zum Frieden gehöre zum bischöflichen Amt, wer wolle denn von einer Bischöfin anderes erwarten. Als Antwort auf Anfeindungen, die sie von zahlreichen Seiten bekommen hatte, fügte Käßmann hinzu, wer das parteipolitisch verwerten wolle, der habe das Evangelium nicht gelesen. Militärische Einsätze dürften nicht der Normalfall sei. Die Evangelische Kirche in Deutschland - deren Ratsvorsitzende Käßmann ist - habe immer einen „Vorrang von Zivil” gefordert und sehe militärische Gewalt lediglich als dem zivilen Aufbau dienend. Nicht nur 30.000 weitere Soldaten, sondern auch mindestens 30.000 weitere Entwicklungshelfer, Lehrer und Verwalter sollten geschickt werden.
Unterstützung bekam Käßmann in der mit Spannung erwarteten Rede von Ministerpräsident Wulff. Als aufrechte Protestantin, streitbare Bischöfin und engagierte Frau, die Hannover, Niedersachsen und Deutschland gut tue, habe er Käßmann immer erlebt, schickte Wulff seinem Statement voraus. Die Vorwürfe, sie sei naiv und vertrete die Position der Linkspartei, wies Wulff zurück. Mit ihrer Predigt am Neujahrstag habe sie eine wichtige Diskussion geführt, wenngleich er sich in dieser Rede einen Dank an die Soldaten gewünscht hätte, die großartige Arbeit mit Mut und Besonnenheit leisteten. Als Vertreterin der EKD sei es Käßmanns Recht, darauf hinzuweisen, dass Fragen von Zukunft und Ziel des Afghanistan-Einsatzes im Sinne der Menschen in Afghanistan diskutiert und stets neu beantwortet werden müssten. Die Bischöfin habe dabei die Sicherstellung des Friedens ohne bewaffnete Auseinandersetzung in den Vordergrund gestellt. Das sei im Kern die biblische Botschaft.
Für beide, sowohl die Bischöfin als auch den Ministerpräsidenten, hatten die 140 geladenen Gäste im Refektorium des Loccumer Klosters Beifall. Dorthin laden die Bischöfe der Evangelisch-lutherischen Kirche Hannovers seit 60 Jahren zum Neujahrsempfang ein. Seit 1978 ist traditionell der 6. Januar, der Epiphaniastag, der Tag des Empfangs – Bischof Lohse legte dieses Datum zu Ehren seines Vorgängers Lilje fest, der am 6. Januar 1977 starb. Menschen aus Kirche, Politik, Kultur und Wirtschaft bekommen Einladungen von der Bischöfin und vom Abt des Loccumer Klosters, Käßmanns Amtsvorgänger Horst Hirschler. Welchen Stellenwert der Empfang hat, ließ sich erneut an der Ministerriege ablesen, die am Tisch der Gastgeber saß: sieben der neun niedersächsischen Minister waren nach Loccum gekommen. Bewirtet mit Butterkuchen und Kaffee, umschmeichelt mit Musik von Mozart und einer Samba zu „Ich steh an deiner Krippen hier” und mit dem abschließenden Gang zur Hora in die Klosterkirche, die Hirschler für die Gesellschaft gestaltete, ging der zehnte Neujahrsempfang, zu dem Käßmann eingeladen hatte, zu Ende.Foto: jan