Wenn Behördenbescheide zum Kampf werden, stehen viele Menschen plötzlich allein da – mit Aktenordnern voller Formulare und Entscheidungen, die ihr Leben tiefgreifend verändern. Genau solche Geschichten hat der Sozialverband Deutschland (SoVD) Niedersachsen nun in seinem neuen „Schwarzbuch sozial“ zusammengetragen. Mehr als 20 Fälle zeigen, wie groß der Abstand zwischen Rechtsanspruch und tatsächlicher Hilfe im Alltag sein kann.
Da ist die Frau im Elektrorollstuhl, der der Landkreis die Kosten für ein behindertengerechtes Auto verweigert, mit dem Hinweis, sie könne ja den Bus nehmen. Oder der schwerkranke Mann, dem eine Erwerbsminderungsrente verwehrt wird. In einem anderen Fall droht eine Seniorin trotz ordentlicher Rente in die Sozialhilfe abzurutschen, weil die Pflegeheimkosten über ihre Möglichkeiten hinauswachsen.
„Unsere Erfahrung zeigt: Die Zahl derer, die nicht mehr weiterwissen, steigt stetig“, sagt Dirk Swinke, Vorstandsvorsitzender des SoVD Niedersachsen. Im vergangenen Jahr habe der Verband über 50.000 Verfahren geführt – ein Zuwachs um 25 Prozent seit 2022. Hinter den anonymen Fallbeschreibungen stehe häufig Verzweiflung, manchmal auch Wut, weil Entscheidungen zu oft über Köpfe hinweg getroffen würden.
Probleme mit dem Jobcenter Schaumburg
Ein solcher Fall aus dem Landkreis Schaumburg fand nun auch den Weg in das Schwarzbuch: Die alleinerziehende Mutter steht beispielhaft für die sozialen Herausforderungen, denen viele Menschen begegnen. Nachdem ihr Hauptmieter die Wohnung kündigt, sichert das Jobcenter der zweifachen Mutter zunächst telefonisch zu, die Kosten von Unterkunft und Heizung für die Familie weiterhin zu übernehmen. Doch wenig später zieht die Behörde diese Zusage zurück und akzeptiert nur den bisherigen Leistungsbetrag, obwohl der neue Mietvertrag – abgeschlossen auf ausdrückliche Rücksprache mit dem Jobcenter – höhere Kosten verursacht. Erst nach einer Klage des SoVD vor dem Sozialgericht Hannover lenkt das Amt schließlich ein und bewilligt nachträglich die volle Unterstützung. Die Betroffene schildert, wie sie sich vom System im Stich gelassen fühlt, kurz davorsteht, die Wohnung zu verlieren. Besonders belastend empfand sie, dass private Äußerungen aus einer Elterngruppe von einer Sachbearbeiterin gegen sie verwendet werden, obwohl sie sich nach Unterstützung umgehört hatte. Angebote zum Umzug in ein Frauenhaus lehnt sie ab, da sie dort ihren elfjährigen Sohn mit Behinderung nicht mitnehmen durfte. Erst im September 2024 kommt die Gerichtsentscheidung: Das Jobcenter muss Kosten und Nachzahlungen übernehmen.
Leider kein Einzelfall
Besonders Menschen mit Behinderung erleben laut SoVD immer wieder solche und ähnlcihe Benachteiligung, etwa bei der Feststellung des Grades der Behinderung oder bei Merkzeichen. „Fast jede vierte Entscheidung des Landesamtes für Soziales ist falsch“, erklärt Swinke. Der Grund liege oft in einer Begutachtung „nach Aktenlage“, bei der die persönliche Situation zu kurz komme. Der Verband fordert daher mehr individuelle Prüfung und weniger Bürokratie: „Menschen dürfen nicht darauf angewiesen sein, Widerspruch einzulegen, um zu ihrem Recht zu kommen.“
Ein weiteres Problem sehen die Sozialberater bei Erwerbsminderungsrenten: Oft müsse erst ein langer Weg durch Gutachten und Verfahren gegangen werden, ehe eine Anerkennung erfolge. Viele Betroffene würden in dieser Zeit in finanzielle Not geraten.
Auch die Pflegekosten stehen im Fokus des Schwarzbuchs. Immer mehr Seniorinnen und Senioren könnten ihren Platz im Pflegeheim kaum noch bezahlen, kritisiert Katharina Lorenz, Leiterin der Sozialpolitik-Abteilung des Verbands. „Selbstzahler müssen oft höhere Investitionskosten tragen als öffentliche Kostenträger – das ist schlicht ungerecht.“ Lorenz fordert vom Land Niedersachsen, wieder einen größeren Teil dieser Kosten zu übernehmen. Eine Wiedereinführung der Landesförderung könne Betroffene im Schnitt um etwa 500 Euro monatlich entlasten.
Rund 295.000 Mitglieder zählt der SoVD in Niedersachsen. Was der Verband dabei erreicht, zeigt ein Blick auf die Zahlen: Allein im vergangenen Jahr erstritt er für seine Mitglieder Nachzahlungen in Höhe von rund 57,5 Millionen Euro. „Das Schwarzbuch zeigt nur die Spitze des Eisbergs“, sagt Swinke. „Aber jede dieser Geschichten steht stellvertretend für Menschen, die nicht aufgeben – und für Politik, die genauer hinschauen muss.“
Der SoVD zählt niedersachsenweit mehr als 280.000 Mitglieder, davon allein im Kreisverband Schaumburg über 7.200. Wir unterstützen unsere Mitglieder in allen sozialrechtlichen Fragen und sind damit der mit Abstand stärkste Sozialverband des Landes. Zu unserem Kreisverband gehören 19 Ortsverbände. Der SoVD ist laut der eigene Beschreibung eine starke Gemeinschaft mit informativen Veranstaltungen oder auch Fahrten und Ausflügen. Webseite: www.sovd-schaumburg.de SoVD-Beratungszentrum Stadthagen, Breslauerstr. 2-4, Telefon: 05721-3477.