Maria Aarts, Gerald Hüther und Jesper Juul: Drei absolute Koryphäen von internationalem Ruf stehen beim Schaumburger Bildungskongress gemeinsam auf der Bühne. Was sie eint: Sie alle gelten als Spezialisten ihres Fachgebietes und zeigen mit ihren Ansätzen die Defizite des hierzulande bestehenden Schul- und Bildungssystems auf.

1350 Menschen wollten sich das nicht entgehen lassen. Die Festhalle war morgens um acht rappelvoll von Mitarbeiter aus Kitas, sozialen Einrichtungen, Schulen und anderen pädagogischen Institutionen. Wie hochkarätig das Trio ist, dass sich auf der Bühne zusammenfinden würde, hatte sich schnell herumgesprochen und erzeugte überregionales Interesse. Nicht nur aus ganz Deutschland meldeten sich Teilnehmer an, sogar aus dem EU-Ausland waren Gäste vertreten. Absagen mussten nahezu ebenso vielen erteilt werden, wie Zusagen vergeben wurden. Wer es geschafft hatte, kam auf seine Kosten.
Das Kongressmotto „Persönlichkeitsbildung ist Bildungsentwicklung von Anfang an” griff jeder der Referenten erst mit einem Vortrag auf, in dem wesentliche Ansichten oder Studieninhalte erklärt wurden, um dem Publikum die Grundprinzipien zu erläutern und Denkanstöße zu liefern. Eingefleischte Fans hatten die Gelegenheit, den bekannten Theorien noch einmal neue Aspekte abzugewinnen.
Am Nachmittag trafen Aarts, Hüther und Juul im „Voice Dialogue” direkt zusammen und bewiesen, welche Stufe vielerorts zitierte „Synergieeffekte” fachlich tatsächlich erreichen können. Jeder trat für seine Sache ein, doch die teils unterschiedlichen Blickwinkel der Referenten trafen sich bei der Zielsetzung in Sachen Erziehung zusammen: Die Wahrnehmung auf das Kind zu schärfen, es anzunehmen und zu sehen, was aus ihm werden kann, ohne es dabei zu überfördern oder zu drängen.
Ein Kind entwickele sich von allein, natürlicher Forschungsdrang und Lernwille sind ihm angeboren und Motivation macht nur da Sinn, wo ein Kind Bereitschaft zeigt und sich begeistern kann. „Eltern müssen wieder zu Schatzsuchern werden”, so Hüthers deutlicher Appell. Als „Schatz” sieht der Professor für Neurobiologie und Leiter der Zentralstelle für Neurobiologische Präventionsforschung der Psychiatrischen Klinik der Uni Göttingen die Ideen und die Entdeckerfreude, die jedes Kind in sich trägt und woraus Neues entstehen kann. Der Hirnforscher selbst versteht sich als „Brückenbauer” zwischen wissenschaftlichen Erkenntnissen und gesellschaftlicher wie individueller Lebenspraxis. Aus seiner Sicht „ist Hirnforschung alleine nutzlos”, was Hüther in der wissenschaftlichen Welt von vielen seiner Kollegen trennt. Lernen ließe sich nur auf der Basis von Emotionen, die mit dem Erlebten verknüpft werden, da sie der Welt erst Bedeutung geben. Stress, eine kreativitätsfeindliche Atmosphäre und wenig Raum zur Entfaltung bewirkten das Gegenteil. „Kinder sind nicht unerreichbar, aber unerreichbar für Pädagogik” stimmte Juul ein. Als Lehrer, Gruppen- und Familientherapeut sowie Konfliktberater spricht er sich gegen starre Regelwerke für Kinder aus. Eines seiner Spezialgebiete sind Jugendliche während der Pubertät.
Er prangert den Vertrauensmangel an, mit dem Eltern ihrem Nachwuchs begegnen, ihm zu wenig Freiheiten und Spielraum geben, sich selbstständig zu entwickeln. Mit „Vom Sollen zum Wollen - wie Beziehung intelligent gelingen kann” zeigte er, wie sich das Verhältnis anders gestalten lässt. Wie groß das Problem verunsicherter Eltern und deren Informationsbedarf ist, wurde auf der anberaumten Pressekonferenz deutlich, wo Vertreter gleich mehrerer Initiativen Rat suchten und damit deutlich machten, wovon auch Juul ausgeht: Familien fehlen in der heutigen Zeit Orientierungspunkte und Mann wie Frau, Eltern wie Kinder, müssen sich in diesen Strukturen zurecht finden und eigene Definitionen finden. Maria Aarts, Begründerin der „Marte Meo”-Methode und Direktorin von „Marte Meo International” zeigte sich als die „Praktikerin” der drei, indem sie Modell und Methode anhand von Videobeispielen und konkreten Fällen vorstellte. Das „Sich Sehen” und die Eigenwahrnehmung bestimmen den Kern und sollen helfen eigene Ressourcen zu erkennen und zu entwickeln, „aus eigener Kraft”. Die zusammengetragenen Aspekte transportierten Aarts, Hüther und Juul weiter und übten in diesem Zuge deutliche Kritik an der Situation in der Altenpflege. Es sei nicht tragbar, soziale Aufgaben als Dienstleistungen zu organisieren, Hüther nannten den Umgang mit den Alten sogar eine „Schande”, Juul sprach von „kollektiver gesellschaftlicher Verrücktheit”.
Obgleich einige Aussagen durchaus polarisierten und der eine oder andere Vergleich für kontroverse Reaktionen sorgte, wurde kaum ein Zuhörer in seinen hoch gesteckten Erwartungen enttäuscht. Vielmehr kam unmittelbar ein reger Austausch in Gang und der Gesprächsbedarf untereinander war groß. Von Ermüdung oder Informationsüberflutung keine Spur, denn die Redner verstehen ihr Handwerk und konnten die Energie, mit der sie selbst am Werk sind auf ihr Publikum übertragen. Ursula Büthe, Fachberaterin des Landkreises für Kindertageseinrichtungen, hat es auf Grund ihrer langjährigen Kontakte mit Unterstützung des Landkreises geschafft, die Referenten zu gewinnen und den Kongress damit zu einem großen Erfolg werden lassen. Wer nicht dabei war, kann sich die DVD zum Kongress besorgen, sie ist nach Fertigstellung über „Marte Meo” und das Medienzentrum Schaumburg erhältlich.Foto: nb