Ich habe einen Termin mit Lehrer Tim Schröder und seinem Englischkurs. Erst stehen 15 Minuten normaler Unterricht auf dem Plan, dann soll ich die Gelegenheit erhalten, mit den Zwölftklässlern ins Gespräch zu kommen. Denn aktuell wird meist über aber nicht mit den Schülerinnen und Schülern gesprochen, wenn es um „Homeschooling” oder vorgezogene Ferien geht. Es ist kühl im Klassenraum, ein Fenster ist weit geöffnet und lässt frische Luft hineinströmen. Nach und nach trudeln die Schüler ein, alle mit Mund-Nasen-Schutz, und setzen sich auf ihre Plätze. Die ersteTischreihe bleibt frei. Tim Schröder beginnt mit seinem Unterricht, die Nachbesprechung des Films „Gran Torino” von und mit Clint Eastwood steht auf dem Stundenplan. Schröder stellt Fragen, die Schüler melden sich und geben ihre Antworten – alles auf Englisch natürlich. Soweit so normal - wären da nicht die Masken und würden nicht nach zwanzig Minuten wie auf ein stilles Kommando hin alle Fenster im Raum weit geöffnet werden. Das, so bestätigen es mir die Schüler später, ist schon Teil der Unterrichtsroutine geworden und führt zu keinerlei Unterbrechung. Nur die Nutzung des „Whiteboard” ist eingeschränkt und nach sorgfältiger Desinfizierung möglich, aber Unterricht geht auch ohne. Dann bin ich an der Reihe und darf meine Fragen stellen. Ich will wissen, wie Corona den Schulalltag verändert hat. Welche Sorgen und Ängste die jungen Menschen in Hinblick auf ihr Abitur haben und ob sie sich benachteiligt fühlen. Sofort recken sich mehrere Hände in die Höhe – es herrscht offensichtlich Redebedarf. Eine Extremsituation Torge erklärt mir, dass die Sache mit den Fenstern wirklich schon Routine sei, jetzt im Winter werde es allerdings sehr schnell kalt im Raum. Aber alle hätten warme Kleidung vorsorglich abei. Das Tragen der Masken sei am Anfang ungewohnt gewesen, „und hat mich schon abgelenkt”. Moses findet sogleich kritische Worte: Er könne nicht verstehen, dass sie in den Pausen Abstand halten müssen, im Klassenraum dann aber wieder dicht nebeneinandersitzen. Und auch in der Freizeit könne er sich nicht mit seinen Klassenkameraden treffen, das mache keinen Sinn. Lara ergänzt, dass sie derzeit im Sportunterricht gemeinsam einen Tanz einstudieren, den in der Freizeit aber nicht in der Gruppe üben können. Auch das Thema „Homeschooling” ist am Gymnasium Bad Nenndorf nicht spurlos vorübergegangen, zeitweise musste die Schule im „Szenario B” gefahren werden. Zudem mussten einige Lehrkräfte für drei Wochen in Quarantäne. „Bei mir betraf das einen meiner Leistungskurse”, berichtet Ole. Er habe dann telefonisch mit seinem Lehrer Kontakt gehalten, das sei aber eher unbefriedigend gewesen. Für Julian war es in Zeiten von Schulschließungen eine Herausforderung, in den Naturwissenschaften mitzukommen. „Es fehlt die Unterstützung des Lehrers”, und er hätte nur das Buch als Hilfe gehabt. Dass sie keine Fragen stellen oder Probleme direkt besprechen konnte, sei problematisch gewesen, bestätigt Vanessa. Und Tom beschreibt die Auswirkungen von „Szenario B” auf die Arbeitsbelastung ganz konkret: „In den letzten zwei Wochen habe ich sechs Klausuren geschrieben.” Moana sieht sich deshalb im Nachteil. Sie bemerke durchaus, dass der durch die Masken verursachte Sauerstoffmangel ihre Konzentration beeinträchtige. „Ich finde es eine ziemliche Extremsituation”, bringt sie ihre Gefühle auf den Punkt. Aber sie sei auch unsicher, insbesondere im Umgang mit ihrer Oma, die gleich nebenan wohnt und die sie nicht gefährden möchte. Die Angst, die Oma eventuell anzustecken, sei schon groß. Im „Homeschooling” habe sie sich zwar sicherer gefühlt, gleichzeitig sei dort das Lernen viel schwieriger gewesen, beschreibt Vanessa ihren Zwiespalt. „Uns trifft es schon hart”, resümiert Ole, „wir verpassen viel Stoff.” Und die jüngeren, so wie sein zwölfjähriger Bruder, träfe es noch härter, da diese zu Hause viel Unterstützung bräuchten. Hinzukomme, dass die technischen Voraussetzungen nicht immer optimal seien. Das bestätigte Alissa. Die Schulplattform „IServ” sei sehr oft überlastet. Wenn dann die Abgabefrist nahe und das Dokument nicht geladen werden könne, steige die Anspannung. So manches Mal sei sie den Tränen nah gewesen, aus Sorge, die Frist zu verpassen und eine schlechte Note zu erhalten. Jakub ergänzt, dass auch die Lehrkräfte nicht immer optimal technisch ausgerüstet seien. Einen Vorteil sieht Torge im Unterricht zu Hause: Sie hätten frühzeitig gelernt, sich selbst zu organisieren und sich ihre Zeit einzuteilen – eine gute Vorbereitung auf das später geplante Studium. Noch ein Anliegen Die Schulstunde ist wie im Flug vergangen, das Gespräch hätte gerne noch länger dauern können. Kurz bevor ich den Raum verlasse kommt Lara auf mich zu, sie hat ein besonderes Anliegen: die Finanzierung des Abi-Balles für den jetzigen 13. Jahrgang steht auf wackeligen Füßen. Die üblichen Einnahmequellen, beispielsweise durch den Verkauf von Kakao, sind weggefallen und auch viele Sponsoren haben sich zurückgezogen. Ob ich nicht einen kleinen Aufruf in meinen Text einfließen lassen könne? Kann ich: Wer den 13. Jahrgang unterstützen möchte, kann sich gerne im Gymnasium Bad Nenndorf im Sekretariat melden. Auf meinem Weg nach draußen begleitet mich Tim Schröder und erklärt, dass er selbst teilweise sehr überrascht gewesen sei von den ehrlichen und zum Teil sehr persönlichen Antworten: „Ich spreche regelmäßig mit ihnen über das Thema, aber dass die Ängste doch so groß sind, wurde dabei bislang nicht deutlich.” Foto: mk