Wir sind noch etwas erschöpft von unserem Fußmarsch. Aber der Blick ist atemberaubend. Links: eine zerklüftete Steilküste mit kleinen Buchten, die sich bis zum Horizont schlängelt. Rechts: die Bucht von St. Brieuc, einer Stadt an der Kanalküste der Bretagne im Nordwesten Frankreichs. Und vor uns das Meer. Das Meer und der Himmel. Alles blau. Blau in so vielen verschiedenen Tönen. Von Dunkeltürkis bis Zarthimmelblau. Wir sind am Pointe du Roselier. Das ist ein Landzipfel in der Bucht von St. Brieuc, der einen Panoramablick bietet. Ein besonderer Ort. Ein Ort, an dem man beim Betrachten des Meeres und des Himmels alles um sich herum vergessen kann. Erst nach einer Weile fällt mir auf, wie still es ist. Hin und wieder sind Stimmen von anderen Touristen zu hören. Dann kreischt eine Möwe. Und sonst: Stille.
Für mich war das ein mystischer Moment am Pointe du Roselier. Ein Moment, in dem ich etwas von Gott erfahren habe. Von seiner Schöpfermacht. Beim Anblick der Steilküste, des Meeres und des Himmels kann ich nur staunen. Genauso beeindruckt hat mich die Stille an diesem Ort. Auch die Stille hat etwas mit Gott zu tun. Es gibt eine schöne Geschichte in der Bibel. Sie erzählt davon, wie der Prophet Elia Gott begegnet ist. Elia stand auf einem Berg und auf einmal kam ein starker Sturm auf. Aber Gott war nicht im Sturm zu finden. Danach kam ein Erdbeben. Auch da zeigte Gott sich nicht. Dann kam ein Feuer. Aber auch dort war Gott nicht zu entdecken. Nach dem Feuer kam ein „stilles, sanftes Sausen“. So heißt es im 1. Buch der Könige in der Übersetzung von Martin Luther. In diesem Windhauch, in der Stille spürte Elia Gott.
Ich denke, Elia wird erstaunt gewesen sein. Die Macht Gottes wird er wohl eher im Sturm erwartet haben. Aber Gott ist oft anders, als wir ihn erwarten. Er kommt in Jesus Christus zur Welt und macht sich verletzlich. Er zeigt sich in der Stille. Und nicht im Lärm derer, die immerzu auf sich aufmerksam machen wollen. Es ist schwer, Stille zuzulassen. Aber es lohnt sich, das Smartphone einmal zur Seite zu legen und einfach auf den eigenen Atem zu achten. Die Bibel erzählt, dass Gott dem Menschen seinen Atem eingehaucht hat, als er ihn erschaffen hat. Unser Atem ist also von Gott. Gottes Kraft in uns.
Am Pointe du Roselier fiel es mir zuerst schwer, mich auf die Stille einzulassen. So viele Gedanken rasten durch meinen Kopf und ich wollte gerade anfangen, meiner Frau davon zu erzählen. Aber dann habe ich mir gesagt: „Das kannst du auch gleich noch machen.“ Und dann stand ich da, spürte meinen Atem, spürte die Stille und die Kraft, die in ihr liegt. Ich fühlte eine tiefe Dankbarkeit. Dafür, dass Gott mir diesen Moment geschenkt hat.
Im Alltag will ich immer wieder einfach einmal Pause machen und auf meinen Atem achten. Die Augen schließen und das Blau des Himmels und des Meeres vor mir sehen. Und spüren, dass Gott für mich da ist.