Johannes Bischoff (JB): Zivilisationserkrankungen werden auch Wohlstandserkrankungen genannt. Das sind Herz- und Gefäßerkrankungen, Diabetes Typ 2, also Altersdiabetes oder auch Lifestyle-Diabetes, Bluthochdruck, Arteriosklerose (Gefäßverkalkung), Übergewicht (Fettstoffwechselstörung), Gicht und bestimmte Krebsarten.
Wa: Was begünstigen diese Erkrankungen?
JB: Ein Ungleichgewicht zwischen vermeidenden und auslösenden Faktoren. Bewegungsmangel in Verbindung mit erhöhtem Zuckerkonsum, Rauchen, Über- und Fehlernährung, Alkoholkonsum sowie als weitere Faktoren Stress- und Lärmbelastung.
Wa: Welche Ziel- und Altersgruppen sind besonders betroffen?
JB: Herz- und Kreislauferkrankungen sind nicht mehr typische Erkrankungen älterer Menschen, sondern betreffen zunehmend auch die jüngere Generation. So tritt mittlerweile der sogenannte Altersdiabetes als Folge der Fehlernährung bereits bei Kindern und Jugendlichen auf. Je früher sich die Risikofaktoren in Form von Diabetes, Fettstoffwechselstörungen, Bluthochdruck einstellen, desto früher manifestieren sich die Herz-Kreislauferkrankungen wie Herzinfarkt und Schlaganfall. Während vor etwa 20 Jahren der typische Herzinfarktpatient im Rentenalter war, gibt es heutzutage zunehmend Patienten, die ihren ersten Herzinfarkt während des aktiven Arbeitslebens haben. Der Anteil der Generation ab 35 Jahren aufwärts hat deutlich zugenommen, wobei Männer im Durchschnitt etwa zehn Jahre früher betroffen sind als Frauen.
Wa: Wie kann man diesen Krankheiten entgegenwirken?
JB: Durch eine Wiederherstellung des Gleichgewichtes zwischen auslösenden und vermeidenden Faktoren. Dazugehören als drei wichtigste Eckpunkte: 1. Nicht Rauchen. 2. Körpergewicht im Normalbereich halten mit einer ausgewogenen Ernährung mit einem hohen Anteil an pflanzlichen Produkten und Vermeidung von zucker- und fettreicher Kost, insbesondere durch Einschränkung von industriellen Fertigprodukten und Fast Food Produkten. Sowie 3. regelmäßige körperliche Aktivität, mindestens 30 Minuten täglich in Form von Ausdauer-/Widerstandstraining.
Wa: Was halten Sie generell von veganer Ernährung?
JB: Aus medizinischer Sicht schließt eine ausgewogene Ernährung auch die Aufnahme von tierischen Produkten nicht grundsätzlich aus. Dennoch kann sich eine ausgewogene rein vegane Ernährung günstig auf die Vermeidung von Herz-Kreislauferkrankungen auswirken, weil der eben genannte zweite Eckpunkt zur Ernährung positiv beeinflusst werden kann. Dies gilt allerdings nur bei einer tatsächlich ausgewogenen veganen Ernährung unter Berücksichtigung der Aufnahme aller essenziellen Mineralien und Vitamine. Dies erfordert eine entsprechend eingehende Auseinandersetzung mit der Materie.
Wa: Seit der Ernährungsumstellung fühle ich mich viel besser, wie kommt das?
JB: Eine Ernährungsumstellung bedeutet einen bewussteren Umgang mit dem Essen, was möglicherweise mit einer positiveren Körperwahrnehmung verbunden sein kann.
Wa: Wieso wissen so wenige Menschen über gesunde Ernährung Bescheid?
JB: Ich glaube, dass die meisten erwachsenen Menschen die Grundzüge einer gesunden Ernährung sehr wohl kennen, aber viele Faktoren zu einem gegenläufigen Handeln führen. Die wichtigsten Faktoren sind Bequemlichkeit, vermeintlicher Zeitmangel, Verführung durch Werbung und schnelle Verfügbarkeit.?Bei Kindern spielt zusätzlich zu den genannten Aspekten die Vorbildfunktion der Eltern und Freunde eine große Rolle.
Wa: Was raten sie Menschen, die sich schwer tun gesund zu essen?
JB:Man kann niemanden zu einer gesunden Ernährung bekehren, trotzdem lautet meine Empfehlung:?Clever essen und sättigen. Das heißt, der Energiegehalt der Nahrung sollte <125kcal/100g haben, will heißen lang anhaltende Magendehnung bei geringer Energiedichte und geringer Insulinausschüttung bei bedarfsgerechter Eiweiß- und Nährstoffzufuhr. Jeder ist für seinen Körper selbst verantwortlich. Man kann auch als Arzt aus medizinischer Sicht nur Hinweise darauf geben, was die mittel- und langfristigen Folgen einer Fehlernährung sind. Leider zeigt die Erfahrung, dass selbst bereits eingetretene ernsthafte medizinische Erkrankungen nicht immer zu einem Umdenken und Andershandeln führen.
Wa: Ihr Appell an die Gesellschaft aus Sicht eines Arztes?
JB: Hilfreich wäre aus gesellschaftlicher Sicht möglicherweise eine umfassende, intensive, frühzeitige und spielerische Vermittlung einer gesunden Lebensführung mit gesunder Ernährung und viel Bewegung. Dies sollte bereits in Kindergarten und Schule erfolgen und wäre aus medizinischer Sicht dem Stellenwert des Deutsch- bzw. Mathematikunterrichts gleich zu setzen. Hierdurch könnte man das entsprechende Grundlagenwissen frühzeitig manifestieren und einen gesunden Lebensstil vermitteln, der somit den bereits im Jugendlichen- und jungen Erwachsenenalter auftretenden typischen Zivilisationserkrankungen wie Bluthochdruck, Diabetes und Übergewicht entgegenwirkt. Foto: wa