Die Unternehmensleitung wollte anlässlich des 75-jährigen Bestehens wissen, wie sich die Übernahme damals genau zugetragen hatte, und beauftragte Florian Grumblies, Historiker und Doktorand am Historischen Seminar der Universität Hannover. Die Übernahme sei ein Teil der Geschichte, sagte der geschäftsführende Gesellschafter Jürgen Ahrens bei einem Pressegespräch. „Der gehört dazu und da stehen wir auch zu.” Er sei überzeugt, sein Großvater Hermann Hagemeyer, der gleichnamige Sohn und Nachfolger des Firmengründers, habe sich unter den damaligen Umständen so fair wie möglich verhalten. Und das bestätigte auch Grumblies, der derzeit eine Promotion zu der „Arisierung” jüdischen Eigentums und der Praxis der „Wiedergutmachung” am Beispiel der Juden der Stadt Hannover schreibt. Der Mindener Textilkaufhausbesitzer Hermann Hagemeyer als Geldgeber und zunächst stiller Teilhaber und dessen Geschäftsführer Alfred Thomas als offizieller Käufer übernahmen im November 1938 die Firma Lion. Nachdem Thomas verstorben war, trat seine Witwe1954 aus der offenen Handelsgesellschaft mit Hagemeyer aus. Vier Jahre später wurde aus dem Textilkaufhaus Alfred Thomas auch äußerlich die Firma Hagemeyer.
Die Übernahme des jüdischen Kaufhauses sei geradezu freundschaftlich verlaufen, das Grundstück nebst Gebäude und Inventar nicht unter Wert verkauft worden, resümierte Grumblies. Diese Erkenntnis brachten die Kaufverträge und Abrechnungen mit Lion. In seiner vierseitigen Zusammenfassung schreibt der Historiker: „Insgesamt erhielten Elias Lion und Moritz Trautmann die Summe von 210.000 RM für ihr Geschäft und das Grundstück.”
Das Besondere dabei ist der freundschaftliche Umgang der Geschäftsleute miteinander, der auch noch Jahre danach währt. Darauf lässt der bisher völlig unbekannte Briefwechsel nach 1945 zwischen dem im chilenischen Exil lebenden Moritz Trautmann und Hermann Hagemeyer schließen. Als im Mai 1949 ein Gesetz zur Rückerstattung feststellbarer Vermögensgegenstände an Opfer der nationalsozialistischen Unterdrückungsmaßnehmen in Kraft trat, fragte Hermann Hagemeyer in einem Brief, wie Trautmann darüber denke. Dem hannoverschen Historiker zufolge antwortete dieser „rasch mit einem längeren freundschaftlichen Brief”. In dem bekundete er, Hagemeyer in „sehr angenehmer und dankbarer Erinnerung” zu haben. „Bei den Verkaufsverhandelungen hat es zwischen Ihnen und uns nie die geringsten Differenzen gegeben. Sie haben uns seelisch in der vornehmsten Weise geschont, und dafür sind wir Ihnen noch heute dankbar.” Demnach stellte Trautmann – der einzige Überlebende der früheren Inhaber – keinerlei „Wiedergutmachungs”-Ansprüche. „So ein Schreiben habe ich noch nie erlebt”, kommentierte der Historiker den privaten Schriftverkehr. Ihm seien Fälle bekannt, in denen verfolgte jüdische Bürger nach 1945 auf eine Rückerstattung ihrer an „Arier” verkauften Häuser oder Firmen verzichteten und dies auch gegenüber den Wiedergutmachungsämtern beurkundeten. Eine solche notarielle Verzichtserklärung liege auch für Moritz Trautmann vor, so Grumblies. „Eine persönliche Erklärung, wie Trautmann sie in seinem privaten Brief an Hagemeyer formulierte, besitzt dagegen Seltenheitswert und ist mir bislang noch nicht begegnet.” Foto: jl/privat