Nicht im eigentlichen Stadtgebiet selbst, sondern im Randbereich „auf dem niederen Wall” haben die jüdischen Bewohner Stadthagens einst ihre letzte Ruhe gefunden, wie Kurt Maurer erklärte. Gemeinsam mit Oliver Glißmann führte er aus, dass in Mittelalter und Früher Neuzeit die Christen zumeist in und um die Kirche herum im Stadtkern beerdigt wurden. Es gibt die jüdische Vorschrift, die Toten nicht innerhalb einer Stadt zu bestatten. Dass der Stadtrat den Juden für ihre Friedhöfe Areale in wirtschaftlich kaum nutzbaren Bereichen zuwies, sei jedoch Ausdruck der Ausgrenzung dieser religiösen Minderheit. Ein Friedhof am abschüssigen Hang des Walles außerhalb der Stadtmauer wie in Stadthagen sei auch in anderen Städten ein durchaus üblicher Ort für diese diskriminierende Praxis gewesen. Ebenso am Verbot des Aufstellens von Grabmalen oder des Errichtens einer Einfriedung, lasse sich die Benachteiligung der jüdischen Bewohner ablesen. Sichtbar ist von den Begräbnisstätten heute nichts mehr, Maurer ermittelte aus Karten, alten Rechnungen und weiteren Dokumenten aus dem Stadtarchiv die vermutliche Lage der ehemaligen jüdischen Friedhöfe. Für 1597 zeugt eine Rechnung erstmals von einer jüdischen Begräbnisstätte auf dem Wall, bis etwa 1716 könnte dieser Friedhof am Nordwall genutzt worden sein, später lässt sich ein Friedhof auf dem Ostwall nachweisen. Tolerantere Haltung im 19. Jahrhundert: Vermutlich 1822 erfolgte der Kauf des Friedhofs in der Seilerstraße, der bis heute besteht und in dem sich die in dieser Zeit zunehmend liberalere und tolerantere Haltung gegenüber dem Judentum abzeichnet. Mit Fotos von allen Grabsteinen dokumentiert Maurer im Buch „Die Jüdischen Friedhöfe in Stadthagen” den dortigen Bestand. Weil bei manchen die Verwitterung merklich eingesetzt habe, soll diese Dokumentation der Sicherung für die Nachwelt dienen. Diese umfasst den größeren Teil des Buches, im ersten Teil fasst Kunsthistoriker Oliver Glißmann seine Forschungsergebnisse ebenso wie die von Maurer im Abschnitt zur Entstehung und Geschichte der Friedhöfe zusammen. Wandel der Grabkultur: Am Friedhof an der Seilerstraße lasse sich der Wandel in der jüdischen Grabkultur des 19. und 20. Jahrhunderts wie auch der Grabkultur in Deutschland allgemein nachvollziehen, so Glißmann. Gerade weil jüdische Gräber für die Ewigkeit angelegt würden und nicht wie christliche nach einer gewissen Zeit oftmals abgebrochen und neubelegt würden, würden sie einen weitergehenden Rückblick in die Vergangenheit erlauben. Mit der zunehmenden kulturellen Anpassung und Assimilation der jüdischen Menschen im Zuge des 19. und des 20. Jahrhunderts verlor die traditionelle Gestaltung der Grabmale an Einfluss, eine Annäherung an christliche Gestaltungsnormen wird spürbar. Auch gewinnen die Inschriften in deutscher Sprache zunehmend gegenüber dem hebräischen an Gewicht, viele Grabsteine sind zweisprachig. Mit der Shoah brach die jüdische Tradition in Stadthagen ab, die letzte Bestattung erfolgte 1941. Erst in den 90er Jahren wurde diese wieder aufgenommen, als jüdische Migranten aus der ehemaligen Sowjetunion im Raum Stadthagen sesshaft wurden. Marina Jalowaja, Vizepräsidentin des Landesverbandes der jüdischen Gemeinden in Niedersachsen, dankte den beiden Autoren für ihre Arbeit. Gerade die Friedhöfe hätten eine herausragende Bedeutung für jüdische Gemeinden. Andreas Kraus, Vorsitzender des Fördervereins ehemalige Synagoge unterstrich, dass das Verfasser-Duo einen wichtigen Bereich der jüdischen Geschichte in Stadthagen aufgearbeitet habe. Das Buch ist zum Selbstkostenpreis erhältlich, Interessierte können sich an den I-Punkt Stadthagen oder Truk-maurer@t-online.de wenden. Foto: bb