Während im Haus- und Gartenmarkt eigentlich in jedem Monat Betrieb herrscht, weil Kunden hier Pflanzen und Dünger, Geräte oder Campinggasflaschen, Tierfutter und andere Gegenstände kaufen oder einen Rat für das Gedeihen des privaten Grüns suchen, beginnt im nächsten Stockwerk bald wieder die Saison. Saatzuchtbetriebe aus dem in- und Ausland liefern Körner in größeren Mengen an. Diese werden gereinigt und getrocknet und dann in kleine Tüten abgepackt, deren Äußeres den meisten Hobbygärtnern vertraut ist: ein buntes Bild unter dem charakteristischen gelb-roten Streifen auf der Vorderseite und Hinweise zu Aussaat und Keimung auf der Rückseite.
Vor vier Generationen wurde das Unternehmen gegründet: Friedrich Tatje hatte offiziell 1908 neben seiner Landwirtschaft ein neues wirtschaftliches Standbein gesucht. Im Umkreis von 75 Kilometern war er mit Bahn oder Fahrrad zu Bauern unterwegs, die ihm das Saatgut produzierten. Nach der Portionierung wurde es ausgeliefert – mit dem Pferdefuhrwerk bei Touren, die oft durchgehend von Montag bis Sonnabend dauerten.
Die Menschen in den Dörfern begrüßten den ländlichen Handel: Bauern brauchten Weidegräser; in den Gärten sollten Gemüse und auch ein paar Blumen gedeihen. Schon 1911 konnte Tatje das neues Wohnhaus außerhalb Pohles bauen; das markante Lagergebäude gleich nebenan entstand erst 1936. In der zweiten Generation führten die Brüder Fritz und Heinrich Tatje den Betrieb fort. Fritz schied später aus Gesundheitsgründen aus. Von Heinrich übernahm Sohn Heinz 1955 die Verantwortung.
Damals herrschte gerade in den Wintermonaten Hochbetrieb. Viel mehr als heute waren Sämereien für Ländereien und die Nutzbeete am Haus begehrt. Allein um dem Andrang der Kleingärtner Herr zu werden, wurden Aushilfskräfte eingestellt. Über die Ortsgemeinschaften im Deutschen Siedlerbund entwickelten sich Sammelbestellungen. Auch Gärtnereien und später Haus- und Gartenmärkte wollten bedient werden: Die Firma betrieb einen Großhandel.
Doch weil angesichts eines wachsenden Supermarktangebots immer mehr Gemüsebeete einem größeren Zierrasen wichen, wandelte sich auch das Firmenbild bei den Tatjes. Zwar rattert die Tütenpackmaschine weiter im Winterhalbjahr. Aber die Inhaber sind froh, mit dem schon vor über 20 Jahren gegründeten Gartenmarkt ein neues Standbein gefunden zu haben. Auch in den 1953 beziehungsweise 1977 gegründeten Filialen in Nienburg und am Stadthäger Viehmarkt ging der reine Samenhandel zugunsten eines anderen Sortiments zurück. Aus Nienburg hat sich das Unternehmen vor zwei Jahren aus personellen und organisatorischen Gründen inzwischen ganz zurückgezogen.
Seit einigen Jahren boomt das Samengeschäft wieder. Weniger bei den Kleinverbrauchern als vielmehr in der Landwirtschaft: „Samen-Tatje” hat frühzeitig auf die sich weiter verbreitenden Biogasanlagen reagiert und bietet inzwischen verstärkt Mais, Grassaaten und Körnerraps an. Allein für einen Hektar Maispflanzen werden 80.000 Körner bei einem Gewicht von bis zu 25 Kilogramm benötigt.
Schon stellt der 1997 in das Unternehmen eingetretene heutige Besitzer Frank Tatje die Packmaschine an. In einen großen Trichter füllt er die winzigen Körner; dann legt er einen Schalter um, und grammgenau rieseln sie in die kleinen Papierbehälter. Bis zu 2500 Samentüten werden auf diese Weise befüllt und zugeklebt. Empfänger sind Gärtnereien und Baumärkte, Endverbraucher und Wiederverkäufer.
Sie wissen um die Qualität des Pohler Sortiments. Denn natürlich wird auch hier die Keimung der Körner genau überwacht. Dafür lagern die Sämereien in verschlossenen Gläsern in einem speziellen Raum, der frei von jeglicher Feuchtigkeit ist. Selbst in jedem Glas bindet ein spezielles Granulat etwaige äußere Anreize zum Keimen. Das darf nur unter Aufsicht geschehen, um Temperatur und Dauer zu ermitteln.
Während das Unternehmen früher bis zu 30 Arbeitskräfte beschäftigte, ist es heute nur noch etwa ein halbes Dutzend. Aber Frank Tatje sieht sich mit dem erfolgreich laufenden Gartenmarkt gut gerüstet. Die Saatensparte aber bleibt dennoch ein wichtiges Segment.
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