Doch ist es heute noch zeitgemäß und vor allem richtig, vor dem Hintergrund der Person und der Taten Scheers, die Admiral-Scheer-Straße in Obernkirchen, dem Geburtsort Scheers, weiter so heißen zu lassen? Unter anderem mit dieser Frage hat sich Gerhard Radtke, Geschichtslehrer im Ruhestand und Mitarbeiter im Obernkirchener Museum für Bergbau und Stadtgeschichte, beschäftigt. Er hat intensiv zu Admiral Scheer recherchiert und präsentierte seine Ergebnisse in einem kompakten Vortrag im Festsaal des Stifts Obernkirchen. Etwa 40 interessierte Bürger wohnten der Veranstaltung bei und lauschten Radtkes Ausführungen zu politischen und militärischen Aktivitäten des fragwürdigen Kriegshelden. Scheers Ruhm basierte auf der Seeschlacht von Skagerrak gegen die britische „Grand Fleet”, die 9.000 Soldaten das Leben kostete und die größte des Ersten Weltkriegs gewesen ist. Die deutsche Kriegspropaganda konstruierte danach einen grandiosen Sieg. Dabei hatte man lediglich ein „unentschieden” erzielt. Die Schlacht änderte nichts an der strategischen Ausgangslage, die es der Royal Navy ermöglichte, die Seeblockade bis zum Ende des Krieges aufrechtzuerhalten. Scheer setzte auf den uneingeschränkten U-Boot-Krieg und damit überging die deutsche Kriegsführung alle bis dato rechtlichen Standards. 6.500 Schiffe lies Scheer versenken. Nur 100 davon waren jedoch Kriegsschiffe. Mit Reinhard Scheers Namen sind zahlreiche fragwürdige Entscheidungen und Handlungen verbunden, die ihn vor allem für die, die deutsche Kriegsniederlage nicht akzeptieren wollten, zum Helden prädestinierten. In Obernkirchen wurde nach der Machtübertragung an Hitler im Juni 1933 in einer großen Propaganda-Veranstaltung eine Gedenktafel an seinem Geburtshaus enthüllt und die damalige „Friedrich-Ebert-Straße” wurde per Beschluss in die „Admiral-Scheer-Straße” umbenannt - bis heute hat sich daran nichts geändert und wird es wohl auch nicht. Nach den von einem Nicht-Obernkirchener angestoßenen Diskussionen im September hat sich der Stadtrat einstimmig dafür entschieden, dass der Straßenname erhalten bleibt. Mit einer keinen Änderung: Unter den Straßenschildern sowie der Gedenktafel des Geburtshauses sollen Informationstafeln angebracht werden, auf denen eine kurze Erläuterung zur Person und den Taten von Scheer stehen soll. Gerhard Radtke hat diesbezüglich am Ende seines Vortrags zwei Beispiele präsentiert. Die Hinweistafeln unter den Straßenschildern könnten wie folgt beschriftet sein: „Reinhard Scheer, 1863 – 1928; als Flottenchef und Chef der Seekriegsleitung im Ersten Weltkrieg mitverantwortlich für die 9.000 Toten der Seeschlacht am Skagerrak und für den unbegrenzten U-Bootkrieg, der etwa 30.000 Seeleute ziviler Frachtschiffe das Leben kostete. Konservativen und Nationalisten galt Scheer als Kriegsheld. Während der Nazi-Zeit wurde diese Straße nach dem in Obernkirchen geborenen Admiral benannt.” Rege Zustimmung an dieser Stelle für all diejenigen, die beim Lesen dieser Infotafel den Kopf schütteln und sich fragen: „Wieso wird bei diesem historischen Hintergrund von Admiral Scheer der Straßenname nicht einfach geändert?” Im Großteil der Städte, in denen Straßen und Plätze von den Nationalsozialsten nach Admiral Scheer benannt wurden, sind diese unmittelbar nach Ende des Zweiten Weltkriegs wieder umbenannt worden. Auch in der Marine ist die Person Scheer kein offiziell gepflegtes Erinnerungsgut mehr. Lediglich acht deutsche Städte verfügen heute noch über „Admiral-Scheer-Straßen”, die dort vor Ort auch zur Diskussion stehen. In der abschließenden Diskussionsrunde nach dem Vortrag von Gerhard Radtke äußerte sich ein Bürger voller Unverständnis über die Entscheidung des Stadtrates: „Straßen gehören nach Vorbildern im demokratischen Sinn benannt!” (Foto: jh/archiv)