„Erst das elektronische Rezept macht die Telemedizin zum Erfolg”, sagte Spahn zuletzt. Doch neben einer Gesetzesänderung des Arzneimittelgesetzes vermag diese neue Form des Arzt-Patientenkontaktes auch die notwendige Zeit und die Mittel zur Umsetzung. Ärzte und Apotheker sehen zahlreiche Vorteile, wenn auch einige Hindernisse. Im Gespräch mit regionalen Ärzte- und Apothekerverbänden wollten wir herausfinden, wie weit die Telemedizin in der Region fortgeschritten ist. Videochat mit dem Doktor Die Digitalisierung der Medizin ist ein komplexes Thema und entwickelt sich stetig weiter. Zur Entlastung von Hausärzten und um den Patienten vermeidbare Wege zur Praxis zu sparen wurde die Möglichkeit der Videosprechstunde realisiert. Detlef Haffke, Leiter Kommunikation und Information der Kassenärztlichen Vereinigung Niedersachsen (KVN), berichtet auf SW-Anfrage, dass durch die Lockerung des Fernbehandlungsverbots durch die Ärztekammer jüngst der Weg frei gemacht worden sei für telemedizinische Anwendungen. Ärzte dürfen nun Patienten auch ausschließlich über Videochats, Telefonate und mithilfe von Apps behandeln, wenn sie das für vertretbar halten, auch ohne, dass sie den Patienten jemals persönlich getroffen hätten. „Die Aufhebung war aus Sicht der KVN längst überfällig, tatsächlich war das bis vor kurzem noch herrschende Verbot über 120 Jahre alt”, erklärt Haffke. Die Digitalisierung erlaube es den Ärzten heute sehr schnell, den Patienten medizinisch einzuschätzen, ohne ihm physisch gegenüberzusitzen. „Man kann sich via Laptop unterhalten, Fotos und Patientenakten übermitteln und mit speziellen Apps sogar die Herzfrequenz überprüfen”. Aus Sicht der KVN kann eine telemedizinische Behandlung einen Arzt-Besuch sinnvoll ergänzen, aber auf keinen Fall ersetzen. „Der persönliche Kontakt bleibt wertvoll. Trotzdem kann gerade in ländlichen Regionen eine sinnvolle Telemedizin-Anwendung die Ressource Arzt schonen”. Dem stimmte auch die Ärztekammer auf ihrem Digitalgipfel zu. Martina Wenker, Präsidentin der Ärztekammer Niedersachsen: „Zwischenmenschliche Interaktion wird eine noch größere Rolle spielen. Durch App-basierte Modelle können die Patienten intensiver in die Behandlung eingebunden werden und den Behandlungsverlauf optimieren. Dennoch benötige es auch hierfür eine ausreichende Anzahl an Ärzten. Zudem dürfe man gerade ältere Patienten nicht mit der neuen Technik alleine lassen, sie bräuchten Betreuung und Anleitung. „Telemedizin ersetzt keine Ärzte”, bringe dennoch einige Vorteile mit sich. Besonders Patienten, die nicht mobil sind oder weit vom nächsten Facharzt entfernt wohnen, können davon profitieren. Zudem müssten Patienten in vollen Wartezimmern keine Ansteckung riskieren oder sich mit schwerer Krankheit notgedrungen zum Arzt „schleppen”. „Fernbehandlung kann unnötige Wege und Wartezeiten ersparen”. Schleppender Fortschritt
in der Region Wenker betonte auf dem Digitalgipfel ebenfalls, dass Patienten heute vermehrt einen Arzt über einschlägige Bewertungsportale im Internet finden würden. Eines dieser Portale ist „Jameda” und fungiert als Suchmaschine, in der nach Stadt und Fachrichtung der passende Arzt gesucht werden kann. Auch Bewertungen und angebotene Leistungen lassen sich hier finden. Rund 88.500 Allgemeinmediziner aus Deutschland sind hier gelistet, hiervon haben jedoch lediglich rund 100 Ärzte angegeben, dass mit ihnen eine Videosprechstunde möglich ist. Aus Schaumburg findet sich kein Arzt in dieser Liste, lediglich ein Arzt aus Laatzen und Bielefeld haben sie im Angebot. Auf mehrfache Anfragen beim Ärzteverein Schaumburg zu dieser Thematik wurde leider nicht geantwortet. Dabei erklärt Detlef Haffke von der KVN: „Die Erfahrungen aus anderen Ländern scheinen viele der Vorteile zu bestätigen: in der Schweiz haben Versicherte seit fast 20 Jahren via Callcenter rund um die Uhr Zugang zu einer fach- und hausärztlichen Versorgung, auch in Skandinavien ist die Telemedizin aufgrund langer Wege sehr beliebt”. Aktuell würden die ersten Erfahrungen bei drei Modellprogrammen in Niedersachsen gesammelt werden. Im kassenärztlichen Bereitschaftsdienst fahren speziell ausgebildete Notfallsanitäter im Raum Delmenhorst auf Hausbesuche. Brauchen diese einen Rat, stellen sie eine telemedizinische Verbindung zum Klinikum her. Im Raum Osnabrück gebe es ein ähnliches Modell, ein weiteres solle demnächst im Raum Braunschweig starten. „Die klassische Videosprechstunde wird derzeit von noch nicht vielen Ärzten eingesetzt”. Das liege auch an dem Ungleichgewicht zwischen Investitonskosten und Ertrag. Trotz positiver Erfahrungen in anderen Ländern befürchten viele Ärzte, dass aufgrund der Einfachheit nun Patienten erst recht bei Bagatellen den Arzt konsultieren. „Ob die Telemedizin einen Mehrwert bringt, wird die Zukunft zeigen”, so Haffke. Viele Fragen seien noch offen bezüglich Abläufe, Organisation und Kostenübernahmen. Das digitale Rezept „Erst das E-Rezept macht die Telemedizin zum Erfolgsprojekt”, sagt auch Detlef Haffke. Dennoch sei es noch ein weiter Weg, zunächst müsse das Arzneimittelgesetz geändert werden sowie die entsprechenden Rahmenbedingungen für die Umsetzung vereinbart werden. Derzeit sei eine Rezept-Ausstellung nach einer Fernbehandlung nicht möglich, der Patient müsse noch immer zum Arzt kommen. Die Apotheker in Niedersachsen begrüßen den Vorstoß zum digitalen Rezept, sagt Berend Groeneveld, Vorstandsvorsitzender des Niedersächsischen Landesapothekerverbandes. Ihre Bundesvertretung habe bereits dem Bundesgesundheitsministerium ein Konzept unterbreitet. „Wir wollen bei der Entwicklung unserer Expertise einbringen”, so Groeneveld. Die Chancen der neuen Technologien können gewinnbringend zum Wohle der Patienten genutzt werden. Dies könne aber nur gemeinsam bewältigt werden. Daher habe sich der Apothekerverband gemeinsam mit der Kassenärztlichen Bundesvereinigung dazu bekannt, den Prozess der Digitalisierung im Gesundheitswesen zu gestalten. Generell seien die Apotheken von heute digital – nach Abgabe des Papierrezeptes sind alle Prozesse digitalisiert. Daher sei das E-Rezept nur die „letzte digitale Meile”, die zu überbrücken sei. Doch auch der Apothekerverband macht deutlich: Fernbehandlungen können und sollen den persönlichen Kontakt nicht ersetzen. „Die individuellen Bedürfnisse des Patienten sollten auch bei fortschreitender Digitalisierung im Mittelpunkt stehen”, so Groeneveld abschließend. Foto:Kvn/lav-nds/nh/pixabay