1907 wurde der nach einer Katastrophe entstandene Neubau eingewieht: Ein Blitzschlag hatte das alte Fachwerkhaus in Schutt und Asche gelegt. Heute wirkt das kleine Lokal fast wie ein Überbleibsel aus vergangener Zeit. Und gastfreundlich ist es eigentlich nur noch für Insider: Immer montags, donnerstags und freitags steht Friedrich Wichmann nach 19 Uhr hinter dem Tresen und freut sich auf seine Stammgäste. Eine Speisenkarte gibt es schon lange nicht mehr. Und kleine Familienfeiern können hier ebenfalls nicht stattfinden.
Die Pokal-Galerie hat natürlich auch etwas mit der Leidenschaft des Wirts zu tun. Früher gehörte er selbst der örtlichen Wettkampfmannschaft an. Heute ist er noch ihr größter Fan. Regelmäßig fährt er mit und tippt auf die Stoppuhr, wenn seine Jungens zum schnellen Umgang mit Strahlrohr und Spritze antreten. Und er freut sich, wenn sie wieder einmal ganz vorn sind: „Sechs erste Plätze allein im letzten Jahr”, verkündet er strahlend. Bald muss er ein neues Brett an der Wand anbringen. Einmal im Jahr wartet eine Fleißarbeit auf ihn und einige uniformierte Helfer: Dann werden alle „Pötte” in die Hand genommen und geputzt. Früher, als Ehefrau Marie noch lebte, war das Reinemachen noch ein Ritual: Je nach Saison gab es hinterher Zwetschgenkuchen oder Rinderwurst. Früher, da wurde auch noch mehr gefeiert. Mangels eines Saals räumte der heute 69-Jährige seine Scheune auf. Dort erlebten die Soldorfer Erntefeste, und der damals noch aktive Radfahrverein „Fahr wohl” richtete zünftige Bälle aus.
Wichmann, den alle nur „Fritz” nennen, ist Gastwirt in der vierten Generation. Vorher lautete der Familienname noch „Hattendorf”. Doch mit der Einheiratung seine Vaters änderte sich auch die Bezeichnung des Lokals. Geblieben ist jedoch die angegliederte Landwirtschaft. 7,5 Hektar Fläche, fünf Kühe und etlichen Schweine bereiteten viel Arbeit. „Bis 1965 wurden die Felder noch mit Pferden bestellt”, erinnert er sich an den Kauf des ersten Schleppers. Nur zu oft blieben die Nächte kurz: Oft sei das Licht erst zur Polizeistunde um 1 Uhr verloschen. „Aber um 5 Uhr musste ich zum Melken im Stall sein.” Und dann war ja auch noch der Hauptberuf: Als Briefträger tourte er 35 Jahre durch Rodenberg und einige umliegende Dörfer.
Auch die Poststelle war seinem Haus angegliedert - von 1929 bis 1992. So ist er schon ein wenig stolz, dass zumindest eines seiner vier Kinder dem Bundesunternehmen treu geblieben ist: Sohn Andreas tritt gewissermaßen durch Rodenbergs Straßen in väterliche Fußstapfen. Beinahe liebevoll streicht Fritz Wichmann über das Spielgerät mitten in der Gaststube. „Das gehört mir”, sagt er über den alten Krökeltisch. Die ehemalige Wartungsfirma habe sich „schon viele Jahre nicht mehr blicken lassen”. Seither putzt er selbst regelmäßig die langen Stangen und reinigt Spieler und Bälle. Nicht einmal alte Groschen hat er aufheben müssen, als die neue Währung Einzug in deutsche Portemonnaies hielt: Der Automat ist, wie Sohn Andreas Wichmann rasch herausgefunden hatte, „tatsächlich Euro-kompatibel”: Zwei fünf Cent-Stücke lassen inzwischen den Ball kullern. Die stiftet übrigens der Chef seinen Gästen: „Ich will doch an dem alten Kasten nichts mehr verdienen.” Vorrat ist genug vorhanden. Denn Wichmann hat natürlich auch den Schlüssel zur kleinen Kassette des Apparats.
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