Das Bildungswerk Hannover der Konrad-Adenauer-Stiftung hatte zu einem Fachvortrag mit dem Titel „Mythen in Schule und Pädagogik - Auswirkungen auf Erziehung und Bildung” in den Ratssaal eingeladen. Und mit dem Experten für allgemeine Pädagogik und Evolutionäre Anthropologie genau den richtigen an der Hand, um die aktuell grassierenden pädagogischen Theorien und Beschulungskonzepte in ihre Schranken zu weisen und in Kontext zu biologischen Bedingungen zu setzen. Auf unterhaltsame Weise bediente sich Neumann dabei sowohl wissenschaftlicher Erkenntnisse aus der Zwillingsforschung, als auch der Lehrgeschichte und zeigte, dass sich in den Strukturen und Ideologien rund um Schule und Lernen zwar Vieles geändert hat, der Mensch als solcher jedoch nicht. „Auf unserem Kopf sitzt noch immer ein steinzeitliches Gehirn”, so Neumann. Daran änderten auch die neuesten Erkenntnisse aus der Hirnforschung wenig. „Die Hirnphysiologie kann der Pädagogik nichts sagen, was sie nicht schon wüsste.” Die Schule ist resistent gegen die Vorstellung wie Unterricht sein sollte. Den allseits propagierten Fortschritt sieht er als Illusion, in der „modernen Wissenskultur” die Anlagen einer Irrtumskultur. Wissenschaft lasse sich nicht eins zu eins ins Leben transportieren. Dem derzeitigen Trend reformpädagogischer Ansätze folgend, Schule auf die Gewinnung von Kompetenzen statt Erlernen von Wissen umzustellen, sieht Neumann als falsch an. Grundsätzlich seien die Ansätze aus dem 18. Jahrhundert, den Kindertagen der Schule, immer noch gültig. Einsichten aus der „Rumpelkiste der Pädagogik”, Nachhilfe, üben und wiederholen seien weiterhin funktionale Methoden, die „einfachen Regeln des Lernens”. Finnland, Sieger der ersten PISA-Studie, habe in Wirklichkeit gut abgeschnitten, da es dort kleine Schulen gebe, die ein hohes Maß sozialer Kontrolle ermöglichen. Entscheidende Faktoren für das erfolgreiche Lernen. In diesem Kontext warnte Neumann davor, dieses an der Art des Bildungsabschlusses zu messen. Schon jetzt gebe es in Deutschland eine hohe Form der Über- und Fehlqualifikation. Ebenfalls Vorbehalte hegt Neumann gegenüber der Frühförderung. Mit der natürlichen kleinkindlichen Neugier lasse sich da wenig erreichen. Schule sei nichts Natürliches, sondern kulturgeschichtlich, der Unterricht für ein Kind stets abstrakt. Es habe eine begrenzte Lerndomäne, die sich nicht sprengen ließe. Förderung könne schnell in Überforderung umschlagen.
Mit einem Anlagefaktor in Sachen Intelligenz von 76 Prozent sei der Weg ohnehin weitgehend vorgegeben. „Da ist viel Natur dabei, wir werden, was wir sind.” Seine Prognose lautet „zurück zu den Wurzeln”: „Wir werden bestimmte Formen der alten Schule wieder einführen.” Statt großer Klassen lieber kleine Klassen. Neue Strukturen wie die Gesamtbeschulung sieht er kritisch, entweder „eine Schule für alle oder ein Lehrer für jeden”. Der Unterricht würde so den unterschiedlichen Bildungsebenen und Voraussetzungen der Schüler nicht gerecht werden können und der Inklusion räumte er wenig realistische Chancen ein. Mit seiner lockeren Art, kein Blatt vor den Mund zu nehmen, sorgte Neumann für viele Lacher im Publikum. Auch wenn seine Aussagen nicht überall auf Zustimmung stießen und hier und da einen Funken Hoffnungslosigkeit weckten, gab es neben Diskussionsstoff viele Denkanstöße, die den einen oder anderen Teilnehmer biologischen Wahrheiten etwas gelassener in die Augen blicken lassen.Foto: nb