Mittlerweile fällt es auf: der Zaun muss gestrichen werden. Möglichst noch vor der Nässe und dem Frost des Winters. Es sind 15 Felder zu jeweils 25 Latten. Von innen und von außen. Und dann das Ganze zweimal.
Deshalb wird der Beginn gern hinaus geschoben. Diese „Aufschieberitis“ dürfte vielen bekannt sein. Allerdings: wenn dann erst einmal der Anfang gesetzt ist und das Wetter noch einigermaßen mitspielt, können auch erstaunliche Erfahrungen gemacht werden. So kommen Nachbarn oder Fremde vorbei und bleiben auf ein paar Worte stehen. Ich kann aber auch zwischendurch meinen Gedanken nachhängen. Manchmal fast schon eine meditative Situation.
Da können Gedanken aufkommen, die sonst keinen Platz haben.
Eine solch eintönige Arbeit kann dadurch sogar zum Gebet werden.
Diese Art von Gebet ist allerdings so ganz anders als das, was wir gemeinhin als Gebet bezeichnen. Vor allem kennt es keine Formel und keinen vorgeformten Text. Aber auch dieses „praktische Gebet“ ist nicht bedingungslos: Es erfordert das bewusste sich hineinstellen in die Aura Gottes. Im Sinne von: „Zaunstreichen unter Gottes Segen“. Alltagstätigkeiten als Gebet zu deklarieren, kann vielleicht den Verdacht hervorrufen, „nicht alle Latten am Zaun“ zu haben. Allerdings gibt es dazu ein unverdächtiges Vorbild.
Von der mystischen Kirchenlehrerin Theresa von Avila (1515-1582) ist überliefert, dass sie selbst ihre Hausarbeit im Kloster „…zwischen Töpfen und Pfannen“ zum Gebet werden ließ.
Zudem kann diese bewusste Herangehensweise auch helfen, dabei ganz im Augenblick zu sein, ganz in der Tätigkeit, die gerade ausgeführt wird.
Wenn Arbeit zum Gebet werden kann, dann gilt das auch für das Nichtstun.
Gelingt es dabei, bewusst die Seele zu öffnen für die zarten Impulse von Gottes Stimme, dann kann das zu einer tiefen inneren Ruhe führen. So kann Gottes Kraft in alle verletzten Teile der Seele fließen. Damit kann auch die Ruhe zu einem inneren Gebet, dem Ruhegebet, werden. Diese Gebetsform wurde bereits von den Wüstenvätern und -müttern in den Klöstern der oberägyptischen Wüste im 4. Jahrhundert praktiziert. Die Tradition wurde über Johannes Cassian, Theresa von Avila, Hildegard von Bingen, die Mönche vom Berg Athos weiter fortgesetzt. Im deutschsprachigen Raum wird das Ruhegebet vor allem durch Pfarrer Dr. Peter Dyckhoff bekannt gemacht und heute über die Stiftung Ruhegebet weiterverbreitet.
Vielleicht probieren Sie an diesem Wochenende einmal aus, ihre Aktivitäten gedanklich in die Aura Gottes zu stellen oder im „Nichts-Tun“ auch wirklich nichts zu tun und bewusst für 15 Minuten die Seele für Gottes leise Melodie zu öffnen. Stellen Sie sich dabei vor, am Ufer eines Flusses zu sitzen und alle Gedanken vorüber ziehen zu lassen, ohne sie anhalten zu wollen.
Möglicherweise machen Sie dabei eine neue Erfahrung.